Marathonheld unter falsche Flagge: Der traurig-stolze Olympiasieger Kitei Son alias Son Kee Chung

Im Weltleichtathletik-Gedächtnis galt der Japaner Kitei Son über Jahrzehnte als der Marathonheld der Olympischen Sommerspiele von Berlin 1936 – in der Sommerfrische der einstigen Reichshauptstadt stürmte Son damals zu olympischem Gold, so kündet es für die Ewigkeit in die monumentalen Ehrentafeln über dem Marathontor gemeißelt. Doch das eherne Andenken weißt sporthistorische Risse auf, die wenig bekannt sind: Der Japaner Kitei Son war in Wirklichkeit der Koreaner Son Kee Chung. Gut 80 Jahre später würdigt nun eine überlebensgroße Bronzeplastik das Schicksal des damaligen Ausnahmeleichtathleten und Marathon-Weltrekordhalters – nur einen Steinwurf vom Marathontor des weltberühmten Reichssportfelds von 1936 entfernt.
Mit unnachahmlicher Bravour und im nahezu perfekten Zusammenspiel von Körper, Geist und Seele sei der für das Tenno-Reich der aufgehenden Sonne startende Marathonrekordhalter zum Olympiasieg enteilt. Einst durch die Antike als ultimative Schallmauerlaufstrecke für Todesmutige mystifizierte, arrivierte der neuzeitlich wiederbelebte Ausdauerkampf schließlich zur enthusiastisch gefeierten Goldmedaille von 1936, die Hundertaussende im Berliner Olympiastadion frenetisch klatschend aus den Sitzen hievte, als Kitei Son zur schmerzverzerrter Kämpfermine über die Ziellinie stürmte. Mit ihrem Werk „Olympia“, setzte die später umstrittene Topregisseurin Leni Riefenstahl dem asiatischen Ausdauerkämpfer ein filmisches Andenken der Extraklasse, das mit seinen extravaganten Bildereinstellungen noch heute brilliert.

Olympischer Marathonlauf von 1936: Heldenepos mit Rissen

So sind es wahrlich Heldengeschichten, die sich um die olympischen Marathonrennen von einst ranken. Wie jene, die von Kitei Son erzählt, dem Ausnahmeleichtathleten, der seiner Zeit weit vorauseilte; und zwar in mannigfaltiger Hinsicht. Mit seinem Weltrekord von 2:26:42 Stunden, die er 1935 in Japans Metropole Tokyo erzielte, stürmte der filigrane Spitzenathlet um Jahre voraus. Erst zwölf Jahre später, 1947, gelang es dem Koreaner Bok-Suh Yun beim berühmten Boston-Marathon in den USA den Weltrekord um gut eine Minute, auf 2:25:39 Stunden, zu verbessern. Beim Olympiamarathon 1936 in Berlin ging Kitei Son zudem mit spektakulärem Schuhwerk an den Start.
Seine Laufschuhe erschienen damals als revolutionär, denn die sportliche Fußbekleidung war vorne, im Bereich der Zehen, zweigeteilt. Auch zwei Jahrzehnte später sorgten die Sportschuhe bei seiner zweiten Berlinvisite noch immer für aufgeregte Nachfrage, doch „das war eine Marotte“, durch die er keine Vorteile hatte, so Son in den 1950-ern dementierend. Am 9. August 1936 nahm Son mit 56 Konkurrenten den Kampf über die 42,195 Kilometer auf – als letztem Wettkampf der XI. Sommerspiele. Zudem ein echtes Glanzlicht, denn der Endpunkt der Leichtathletik-Wettbewerbe war eine funkische Novität in der Sportberichterstattung. Erstmals wurde der Ausdauerklassiker – zwar zeitversetzt gesendet – in der gesprochenen Berichterstattung durch eine eigens komponierte Orchester-Suite untermalt, die dann das musikalische Kolorit in Riefenstahls Olympia-Film lieferte.

Deutsche Soldaten ehrten Son’s Marathonsieg mit Rosenbett

Im Rennen erwies sich Son als Taktiker, wie er im Buche steht. Als Mann des wahrhaft langen Atems und der ungeheuren Willenskraft jagte Son dem starken Widersacher Juan Carlos Zabala (Argentinien) und dem Briten Ernie Harper mit neuem Olympischen Rekord von 2:29:19 Stunden schließlich über zwei Minuten ab. „Der menschliche Körper kann nur zu einem bestimmten Maß etwas leisten. Danach müssen Verstand und Herz übernehmen“, so Son über seine mentale Stärke, die die Zuschauerherzen in der Reichshauptstadt höher schlagen ließ. Im Olympischen Dorf schmückten deutsche Soldaten Son’s Bett nach seinem Fabelsieg mit Rosen. Adolf Hitler lachte ihm wohlwollend auf der Schulter klopfend zu, als er die Begeisterung der eine Million Berliner an der Strecke lobte, so Son. Sein begehrtes Edelmetall indes, wies schon vor 80 Jahren sportpolitische Kratzer auf, die kaum bekannt sind. Weil Korea von 1910 bis 1945 als Provinz Chōsen ins Japanische Kaiserreich eingegliedert war, musste Son unter der japanisierten Form seines Namens für Nippon starten; obwohl er Koreaner war und eigentlich Son Kee Chung hieß. Seit Dezember 2016 erinnert nun eine Läuferstatue sporthistorisch aufklärend an Son‘s Sieg unter falscher Flagge und konserviert seine scheinbar bis zum Bersten angespannte Siegesmine für die Leichtathletik-begeisterte Nachwelt.

Text und Foto: Volker Schubert

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