Erik Leppuhner, Dresdens Orchideen-Sportsoldat – Exotisch. Nichtolympisch. Faszinierend. Akrobatisch.

Geht es um die sporthistorische Chronik der nichtolympischen Disziplin Sportakrobatik, ist er die berühmte Nummer eins: Im Herbst 2019 war Erik Leppuhner so etwas wie der Novize in der einzigen Sportfördergruppe der Bundeswehr in Sachsen. Mit seinem damaligen Neuzugang schritt der kräftig gebaute Untermann als Allererster seiner ungekrönten Randsportart über die Schwellen des Frankenberger Olymps eingangs der Wettiner-Kaserne. Ein durchaus essentielles Karrieresprungbrett, denn nicht jedes ambitionierte Sportlertalent schafft es als Sportsoldat die ebenso erlesene wie begehrte Sportförderung im Waffenrock zu ergattern.

Auch rein organisatorisch betrachtet ist die Integration des erfolgreichen Sportakrobaten in die Streitkräfte-Administration längst Teil seiner Erfolgsgeschichte: Denn bei Jan Fiedler, dem militärischen Chef der Sportfördergruppe Frankenberg fest angedockt, dürfte sich der Meriten-bewährte Dresdener vor allem unter betreuerischen Gesichtspunkten seither in besten Händen befinden. Schließlich firmiert Jan Fiedler nicht nur als erzgebirgsches Urgestein, sondern stürmte bis kurz vor Ende der ostdeutschen SED-Diktatur im schneesportlichen Vielseitigkeitsrennen zum DDR-Meistertitel, um zwei Jahre nach der Deutschen Einheit schließlich zum Deutschen Meister im 30 Kilometer Skilanglauf aufzusteigen – auch eine Glückskonstellation für den nun 23-jährigen Sportakrobaten.

Denn der einst auf internationalem Schneeparkett für Deutschland elegant wie kraftvoll auf Langlaufbrettern dahingleitende 53-jährige weiß haargenau, wie Spitzensportler psychisch ticken und welcher sportartspezifische Support für jeden einzelnen seiner insgesamt 66 Adoleszenten am zielgenauesten ist. Mit Erik Leppuhner gehört ein weiterer Spitzen-Athlet des World-Games-Kader zur militärischen Eliteequipe des Berufssoldaten Jan Fiedler, der unter anderem der Nordische Kombinierer und Oberwiesenthaler Olympiasieger Eric Frenzel und die sportlich optimal in die LV90 Erzgebirge integrierte Dresdner Kugelstoßweltmeisterin Christina Schwanitz angehören.

Sportlich freie Fahrt für freistaatliche Athleten, heißt ein fiktional formuliertes Programm, das beim Dresdner Topathleten Erik Leppuhner definitiv Hand und Fuß hat. Und zwar stets mit spitzensportlicher Feder geschrieben, denn das siebentägig terminierte Trainingspensum von Erik Leppuhner ist zugleich sein militärischer Dienstplan. Einmal in der Woche wandert das Dokument aus der Dresdener Athleten-Schmiede am berühmten Ostra-Gehege in Richtung Frankenberg – zur einzigen Sportfördergruppe der Bundeswehr in Sachsen. Mit dem kontrollierten Druck des rechten Zeigefingers seiner Dresdner Trainerin auf die Entertaste, ist binnen Millisekunden beim Chef des Frankenberger Militärsportolymps klar, dass einer seiner noch recht neuen Schützlinge erneut hochkonzentriert und intensiv an seiner Spitzensportkarriere feilt.

Der von Jan Fiedler und seinem vierköpfigen Regie-Stab – darunter ein Physiotherapeut aus der Feldwebellaufbahn – militäradministrativ wie spitzensportlich zu betreuende 23-Jährige ist Mitglied des deutschen World-Games-Kaders. Und damit ein höchst leibesertüchtigter Repräsentant einer echten Orchideen-Disziplin: Zudem in Zeiten eines mehr als schnelllebigen digitalen Hypes, computeranimierter Videoclips mit der Verfallsdauer einer Eintagsfliege einschließlich Internet-pathogener Suchtstrukturen bei Jugendlichen, wohl weil die analoge Welt nur gähnende Langweile böte, wie manch jung-adipöser, daueraugenflimmernder Digital Native zu meinen scheint. Und in der Tat, Akrobatik klingt zunächst anachronistisch, wie eine exotische Körperkunstform längst vergangener Zeiten. Oder wie ein Nachhall auf den einstigen Charme einer von Zigarrenqualm oder frischen Pferdeäpfeln aromatisierend angereicherten Kuppelzelt-Atmosphäre; sei es Eltern wie Kind begeisternd unterm Zirkusdach oder bei so manch anrüchigem varietékulturellen Vergnügen jener vermeintlich besseren Gesellschaft – und zu guter Letzt, die gleichwohl gute alte Zeit kontextualisierend, teils als halsbrecherischer Solo-Drahtseilakt, teils mit solide verankertem Auffangnetz per Akrobaten-Duo dargeboten.

Seit der Jugend-EM 2013 in Richtung Weltspitze gestartet: Sportsoldat Erik Leppuhner punktete 2018 und 2019 mit Weltcup-Silber.

Oftmals „leise belächelt“ sei die Sportakrobatik schon, kritisiert auch Erik Leppuhner, denn seine sportliche Leidenschaft habe deutlich mehr an medialer Aufmerksamkeit verdient. Denn was für den zeitgenössischen Konsumenten oberflächlich betrachtet angestaubt, ja fast schon antiquiert anmutet, ist in der Wirklichkeit ein hartes Geschäft. Bis zu elf Mal in der Woche besucht Erik Leppuhner seine spitzensportlichen Arbeitsräume. Das Dresdner Leistungszentrum mit der großen Turnerhalle und dem nahe gelegenen Kraftraum ist seit Jahren sein eigentliches Wohnzimmer. Doch den gesellschaftsmedialen Reflexionsdefiziten seiner Profession gegenüber zum Trotze, der für das dauerhafte Spitzensporttraining ausgestattete Gerätepark, der ist alles andere als randständig. Der dort eingerichtete Hantel-Stangen, Beinpressen und Gewichte-Parcours bietet alles das, was das Akrobaten-Herz zur Trainingsoptimierung in puncto Stabilisierung und Verbesserung der reinen Schnellkraft, der Kraftausdauer oder zum Training von Maximalkraftspitzen begehrt.

Sportfördergruppe: ja! Sporthilfe: nein!

Auch die sogenannten nichtolympischen Sportarten sind unter der gemeinsamen Dachstruktur des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB) organisiert. Über diese sportpolitische Anbindung verfügen auch nichtolympische Sportverbandsspitzen über die Option, ihre Topathleten sehr gezielt durch den DOSB unterstützen zu lassen. In der Regel zwar subaltern hinter den Olympischen Kernsportarten rangierend, besteht somit auch für die Leitungsträger jener teils deutlich weniger bekannten Sportarten, die somit auch medial definitiv seltener ins Licht der Öffentlichkeit rücken, die Möglichkeit in den Vergabegenuss der exklusiven, weil heißbegehrten Spitzensportförderplätze zu gelangen – und zwar eingebunden innerhalb hoheitsstaatlicher Organisationsstrukturen, wie sie die Bundespolizei, mehrere Länderpolizeien, die deutschen Streitkräfte oder der deutsche Zoll bieten. Allerdings nur nach der strengen Maßgabe freier Plätze, klar verifizierbarer sportartspezifischer Entwicklungsperspektiven als Spitzensportler, potentiellen Medaillenchancen bei international hochkarätigen Wettkämpfen oder den disziplinspezifischen Weltmeisterschaften, und wenn es dabei um das weltweite Ansehen Deutschlands als global führender Sportnation geht.

Die sportpolitische Programmatik gegenüber dem nichtolympischen Spitzensport führt ihren Ursprung auf die Einführung der „World Games“ im Jahre 1981 zurück, die immer wieder temporär für einen Anstieg in der medialen Berichterstattung und damit oftmals eher kurzfristig andauernden Bedeutungszunahme sorgen. Knapp 40 Jahre nach dem damaligen Spitzensportereignis dürfte sich dieser Wandel nun weiter verstetigt haben, wie der seither zu verzeichnende Teilnehmer- und Nationen-Zuwachs als auch die Anzahl der wettkampfspezifisch ausgetragenen Sportarten beweist. So sind die World Games mittlerweile neben den Olympischen Spielen zum einzigen globalen Multisportevent arriviert, wie das Internationale Olympische Komitee (IOC) anerkennend festgestellt hat. Mittlerweile unter IOC-Patronat gestellt, verzeichnet die Entwicklung der World Games im Weltmaßstab betrachtet durchaus rasante Fortschritte – insbesondere durch eine sich immer weiter verstärkende Professionalisierung bei den Athleten und Trainern sowie innerhalb der jeweiligen Verbandsstrukturen.

Gefragter Untermann: In der „Vierergruppe Herren“ ist Erik (u. li.) ein echter Stabilitätsanker.

Karate erstmals als nicht-olympischer Vorführsport im Tokioter Programm

Angesichts des prinzipiellen Innovationspotentials, das die vielfältigen Fortentwicklungsstränge innerhalb der nichtolympischen Disziplinen verkörpern, ist der Stellenwert des nichtolympischen Spitzensports permanent im Anstieg befindlich. Diesem Entfaltungsdrang folgt nunmehr auch die IOC-Agenda 2020 mit einem wesentlichen Entwicklungsschritt. Demnach folgt das IOC dem Vorschlag der gastgebenden Olympia-Stadt deren von ihr ausgewählte nichtolympische Sportarten temporär und damit für einen olympischen Zyklus in das olympische Programm aufzunehmen. In Tokio wird dies – vorausgesetzt, die Covid19-bedingt verschobenen Olympischen Spiele 2020 werden im Juli 2021 im Tokioter Nationalstadion feierlich eröffnet – die japanische Traditionsport der „leeren Hand“ – Karate – unweigerlich in den Medienfokus rücken. Und so ergibt sich auch angesichts der XXXII. Olympischen Sommerspiele durchaus die Chance einer weitergehenden Integrationsritualisierung über das Tokioter Weltsportfest hinaus. Nämlich, das Karate – wie bereits das koreanische Taekwondo seit den Olympischen Spielen 2000 in Sidney – dauerhaft in den vierjährigen Olympiazyklus eingebaut werden kann. Eine nicht allzu abwegige Hoffnung also, die insgeheim auch den Weltklasseakrobaten Erik Leppuhner mit Blick auf eine vergleichbare Zukunftsoption umtreibt.

DOSB: „Grünes Licht“ für Eric Leppuhner

Die DOSB-Richtlinien, die Erik Leppuhners spitzensportliche Weichenstellungen ermöglichen, sind insgesamt ausgesprochen streng und damit konsequent erfolgsbasiert ausgelegt. So ist eine potentialorientierte Förderung des Bundes nur dann möglich, wenn mit Blick auf den anzuvisierenden Zielwettkampf begründete Erfolgsaussichten bestehen, innerhalb von vier bis maximal acht Jahren einen hochkarätigen Podiumsplatz zu erreichen. Entlang der durch den DOSB getragenen Bundesförderung nichtolympischer Spitzensportdisziplinen soll die Sicherung und Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit deutscher Athleten mit Medaillen-Perspektiven oder globalen Top-Ten-Platzierungen unterstützt werden, um bei den World Games und Weltmeisterschaften möglichst überragende Ergebnisse erzielen zu können.

Dabei ist sich der DOSB völlig im Klaren, dass nur eine leistungsfähige Stützpunktstruktur jene idealtypischen Rahmenbedingungen dauerhaft ebnen kann, die in ihrer funktionalen Wechselbeziehung sowohl institutionelle Basis als auch die trainerbetreuerische Grundvoraussetzung schafft, um bei internationalen Wettkämpfen der Nichtolympischen Verbände (NOV) mit exklusiven Leistungen hervorstechen zu können. Folglich positioniert sich für die kommenden Spitzenathleten seitens des DOSB auch die sportartübergreifende Zielformulierung: Nämlich für das jeweils maßzuschneidernde Eliteprogramm der zu fördernden NOV-Athleten an den jeweiligen Leistungsstützpunkten die bestmöglichen Trainingsvoraussetzungen zu etablieren, um zunächst mit Blick auf die Entwicklung, die Ausschöpfung und die Stabilisierung des sportartspezifischen Hochleistungspotentials, später dann mit verstärktem Fokus auf die zielgerichtete Wettkampfvorbereitung,  internationale Höchstleistungen generieren zu können.

Punktuelle Finanzspritzen schaffen temporäre Planungssicherheit

Dazu trägt ferner das sportwissenschaftliche Zertifizierungsverfahren des DOSB bei, denn alle Leistungsstützpunkte unterliegen einer sportfachlichen Prüfung und einem offiziellen Anerkennungsverfahren, die sie als entsprechende Kaderschmieden ausweisen. Um möglichst punktgenau wie spezifisch zu unterstützen, unterteilt sich das Förderprogramm des Bundes in eine Basisförderung sowie in eine potentialorientierte Projektförderung, wobei in der Basisförderung die Förderbereiche Leistungssportpersonal und Jahresplanung gleichwertig berücksichtigt werden. Planungssicherheit soll hier insbesondere eine Förderzusage schaffen, die für die gesamte Förderperiode einschließlich des Leistungssportpersonals gilt und deren Umfang sich grundsätzlich an den aktuell geltenden Förderrichtlinien des Bundes ausrichtet. Hierbei soll die Basisförderung die NOV-Disziplinen und ihre Athleten unter Einbeziehung verbandsinterner Eigenmittel in die Lage versetzen, ihre Leistungssportförderung im Förderzyklus sicher wie planbar zu gestalten – uns zwar im Sinne einer monetären Grundausstattung. Im Jahr 2019 etwa betrug das NOV-Fördervolumen rund 2,4 Millionen Euro – gleichgewichtig aufgesplittet in 1,2 Millionen Euro für die Jahresplanung und 1,2 Millionen Euro für das Leistungssportpersonal.

„Arbeitgebermarke Bundeswehr“ für NOV-Spitzensportler attraktiv

Die Nutzung der nationalen Leistungssportkonzeption innerhalb des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums für Verteidigung, konkret im Organisationsgefüge der Streitkräftebasis, stellt für Erik Leppuhner somit einen wesentlichen Eckpfeiler zur sportartspezifisch Planungssicherheit wie zur sozialen Abfederung dar. Unter dem Label „anerkannter Soldat Spitzensport“ firmierend, so seine Dienstpostenbezeichnung im Bundeswehr-Sprech, fällt das daran geknüpfte Preisschild entsprechend werthaltig aus: Unter der Niveaulinie „Edelmetallchancen bei World Games, Weltcup oder Weltmeisterschaft“ geht grundsätzlich gar nichts. Denn hinsichtlich der Federführung bei der Kontingentierung der hoheitsstaatlichen Sportförderplätze durch den DOSB fällt der Verteilungskegel klassischerweise stets zugunsten der Olympischen Sommer- oder Wintersort-Disziplinen aus.

Ein heiß umworbener Proporz, der ohnehin auf eine endliche Zahl von militärischen Spitzensportförderplatzen trifft – auch wenn die bis dato 744 zur Verfügung stehenden Stellen mittelfristig auf 850 Sportler-Dienstposten aufgestockt werden sollen. Für Jan Fiedler ist der nunmehr fest in Frankenberg integrierte Perspektivathlet jedenfalls ein beidseitiger Gewinn. Und zwar nach der recht simpel klingenden Grundsatzformel: „Der DOSB stimmt zu, die Bundeswehr setzt um“, so der taffe Erzgebirger gegenüber Bundeswehr Sportmagazin. Eine Win-Win-Situation, die für den Sportakrobaten nun schon seit vielen Monaten die Zeit des „amateurhaften Durchschlagens“ beendet hat. Denn schließlich war Erik Leppuhner zuvor als sogenannter „Mannschafter“ regulärer Zeitsoldat und diente das letzte Dreivierteljahr vor seiner Versetzung nach Frankenberg beim Panzerpionierbataillon 701 im sächsischen Gera; musste somit täglich zeitaufwändig pendeln, um regelmäßig an seine Trainingsstätte im Ostra-Gehege zu gelangen. Am dortigen Dresdener Leistungsstützpunkt traf Sportjournalist Volker Schubert den Vorzeigeathleten zum Exklusivinterview für Bundeswehr Sportmagazin.

BwSportMag: Erik, was führte dich dazu, den Weg des Sportakrobaten zu gehen; da muss es ja ein einschneidendes Schlüsselerlebnis oder eine tiefere Initialzündung gegeben haben?    

Leppuhner: Ja, das ist ‚extremst‘ lange her. Ich war hier im Dresdner Sportclub schon mit drei oder vier im Mutter-Kind-Sport, genauer beim Eltern-Kind-Turnen. Später, so mit fünf, war ich dann bald schon zu alt dafür. Und so wurde mir aufgrund meines offensichtlich vorhandenen Turntalents empfohlen, dass ich zur Sportakrobatik wechseln soll. So bin ich halt in dieser speziellen DSC-Sportabteilung, in der sich ja auch unsere Turner befinden, schon recht früh gelandet. Und die Akrobatik hat mir von Anfang an viel Spaß gemacht.

BwSportMag: Sportlicher Spaß und das damit eng verbundene Wohlgefühl sind sicherlich wichtige kindliche Impulse, um dauerhaft bei der Stange zu bleiben. Aber was ist jetzt Deine bestimmende Triebfeder als junger Mann, Dich weiterhin auf so hohem Niveau sportlich zu engagieren, täglich hart zu trainieren und Dich im internationalen Wettkampfgeschehen zu messen? Ist Deine Neigung, Dich dem Druck der Konkurrenz zu stellen, so etwas wie eine innere Veranlagung, die von Kindesbeinen an in Deinem Naturell verankert war?   

Sportlicher Kit heißt konsequenter Korpsgeist

Leppuhner: Ich glaube, dass, wenn man im Alter von fünf etwas anfängt, man schon mit viel Lust und Laune bei der Sache sein muss. Ohne dauerhaften Spaß läuft in dem Alter jedenfalls nichts. Und genau diese Lust war bei mir schon sehr stark vorhanden. Am Anfang war das Training für mich extrem anstrengend, weil ja von vorn herein auch der Anspruch gelegt wurde, so gut wie möglich zu werden. Und das geht dann natürlich auch noch deutlich weiter. Nämlich schließlich so gut zu werden, dass man in die Nationalmannschaft aufgenommen werden kann. Dafür muss man sich enorm anstrengen. Der Reiz an sich liegt aber auch in der Tatsache begründet, dass das Zusammenarbeiten in der Viergruppe einen Fokus bildet, der uns stark zusammenschweißt. Das Training dafür ist ein recht professionelles Geschäft. Denn gleich, wie einer sich fühlt, welche Probleme einer gerade hat, nur der Zusammenhalt über den Sport schafft letztlich diese Ergebnisse, die sich dann auch in Medaillen und Spitzenplatzierungen widerspiegeln.

Und das ist dann auch der ganz persönlich erfahrbare Aspekt, der immer wieder unter uns vieren in der Gruppe zu erleben ist, denn jeder muss sich ja für das gemeinsame Ganze aus seiner jeweiligen Situation heraus immer wieder überwinden. Und unsere Ergebnisse geben uns dann auch recht. Denn die Elemente, die wir am Ende vorführen, die sieht man sonst nirgendwo auf der Welt, bei keiner Sportart. Außer vielleicht im Zirkus vor Publikum, aber da herrschen letztlich keine Wettkampfbedingungen. Und darum bin ich schon froh, dass ich bei der Sportakrobatik bin. Außerdem hatte ich Glück, dass ich von meiner Trainerin immer sehr gut gefördert worden bin und deswegen auch an sehr vielen internationalen Wettkämpfen teilnehmen durfte. Den großen Schub, der mich auch weiterhin trägt, konnte ich 2016 erfahren, als ich bei den Weltmeisterschaften die Bronzemedaille erzielen konnte.

BwSportMag: Sport quasi mit der Muttermilch aufgesogen, ist das rückblickend auf Deine bisherige Karriere auch Dein aktuelles Resümee, was Dich weiterhin so stark motiviert und auch hinsichtlich des Trainingspensums her vorantreibt? 

Leppuhner:  Na klar, genauso ist es! Und zusammen mit meinem bisherigen größten Erfolg aus dem Jahr 2016 – übrigens der ersten Medaille in der Sportakrobatik, die ich für den Dresdner Sportclub bei so einem bedeutenden Wettkampf gewinnen konnte -, ist der Antrieb, sich immer noch weiter steigern zu können weiterhin extrem hoch. Seit 2013 bin ich jetzt bei Europameisterschaften und Weltmeisterschaften immer dabei gewesen. Schon alleine die Finalteilnahme ist hier ein großer Erfolg, denn der Konkurrenzdruck steigt von Jahr zu Jahr. In der Vierergruppe haben wir auch immer wieder den Finaleinzug geschafft. Der Disziplin, die in der Sportakrobatik auch das größte Ansehen genießt. Die geturnten Elemente, die wir vorführen, sind hier auch total kompliziert und der Schwierigkeitsgrad steigt ständig. Das hängt auch mit den international extrem starken Gegnern zusammen. Gerade China, Russland und Israel haben aktuell einen extrem guten Lauf. Auch deshalb ist ein Finaleinzug bei Welt- oder Europameisterschaften schon immer eine tolle Leistung. Auf jeden Fall geben wir immer unser Bestes!

BwSportMag: Dann sind Du und Deine Gruppe wirklich ein echtes deutsche Aushängeschild im nichtolympischen Klassement – aber auch als original sächsisches Markenzeichen hier in der Sportmetropole Dresden verortet. Gib unseren Lesern doch mal einen kleinen Einblick in die Faszination Deiner Sportart. Was ist die Besonderheit der einzelnen Elemente, die letztlich im harmonischen und ästhetischen Zusammenwirken zu einer einmalig orchestrierten Choreografie zusammenfließen?

Original sächsisches Markenzeichen

Leppuhner: Die Aufgaben in der Vierergruppe sind sehr unterschiedlich. Vor allem in den unterschiedlichsten Kraftaufgaben, die die einzelnen Gruppenmitglieder erfüllen müssen. Diese verschiedenen Positionen sind letztlich schön zusammenzufügen, das ist das Grundprinzip. Den Obermann extrem hochzuschieben, das ist das Ziel. Auch hier geht es ausschließlich um Schönheit und Ästhetik. Dazu gehört natürlich auch gekonnte Wurfkraft, dass der Obermann dann weit nach oben fliegen kann und dabei noch beeindruckende Salti zeigen kann. Schon allein das Zusammenfügen dieser schwierigen Positionen ist insgesamt so spannend, dass ich mich in jedem Fall immer wieder für die Sportakrobatik entscheiden würde.  

BwSportMag: Das hört sich im Kern natürlich alles sehr spektakulär und publikumswirksam an. Wie steht es aber um die breite Präsenz in der Öffentlichkeit; die mediale Wirklichkeit der Partnerdisziplin Turnen und erst recht der Sportakrobaten ist ja leider eine völlig andere. Zum Beispiel das Turnen, quasi eine urdeutsche Erfindung, auf die die Nation eigentlich stolz sein könnte – Stichwort Turnvater Jahn, Ginger-Salto oder Olympiasieger Fabian Hambüchen -, ist im Fernsehen allenfalls bei Weltmeisterschaften oder den Olympischen Sommersspielen zu sehen und verschwindet dann wieder in der medialen Diaspora. Helfen Dir und Deine Sportkameraden hier die neuen Sozialen Medien, um für mehr Anerkennung, Popularität und Publizität zu sorgen; also bastelt ihr im Verband oder Verein da an einer wirksamen Medienstrategie für mehr Aufmerksamkeit und Furore?      

Fest in der Sportmetropole Dresden verortet

Leppuhner: Das ist eine wirklich gute Frage. Wir sind jetzt dabei in der Nationalmannschaft eine echte Offensive zu starten, damit wir zukünftig deutlich präsenter werden. Hier nenne ich zum Beispiel Instagram. Auf der Plattform wollen wir uns zukünftig intensiver präsentieren. Dabei geht es darum uns zu zeigen: Also, was wir machen, was wir wollen, wer wir sind. Die Internet-Plattformen sind auf jeden Fall wichtig und richtig. Allerdings als unsere Vereinskameraden in der Zweiergruppe, Tim Sebastian und Michail Kraft, bei den World Games 2017 in der Kür Deutschlands zehnte Goldmetaille holten, wurde dies auch im Fernsehen gezeigt. Das war schon eine kleine Sensation.

Im Januar sind wir natürlich – wie bisher jedes Jahr ohne aktueller Corona-Sperre zuvor – bei der Dresdener Turngala mit dabei. Und dort haben wir immer drei komplette Vorstellungen für uns. Der Publikumszustrom ist dabei wirklich riesig, jedenfalls was Dresden angeht. Als wir Sportakrobaten erneut mit dem Duo Kraft und Sebastian bei den Europameisterschaften 2019 in Israel mit der Bronzemedaille zurückgekehrt sind, wurde das auch ausführlich in den Zeitungen abgebildet. Also, wenn wir solche Erfolge haben, dann wird das zumindest regional auch abgedruckt, was wir als Pressemeldungen versenden. Zumindest sind wir dann in den Zeitungen für kurze Zeit präsent, mehr kann man sich aber wohl nicht erhoffen. Und natürlich bieten wir uns den Zeitungen auch als Interviewpartner an.

Frankenberger Olymp: Integrationsanker für nichtolympischen Spitzensport

BwSportMag: Jetzt mal ein Blick in die Wurzeln der Sportakrobatik: Wie viel Turnvater Jahn steckt eigentlich in eurer Orchideen-Disziplin und welche Parallelen gibt es zum Hochleistungsturnen zumal ihr im Dresdener Leistungszentrum quasi Tür an Tür trainiert?   

Leppuhner: In der Sportakrobatik sind auf jeden Fall Grundelemente des Turnens vorhanden, das natürlich auf das deutsche Vorbild, unseren Turnvater Jahn zurückgeht. Trotzdem sehe ich die Sportakrobatik im Wesentlichen als eine völlig andere Sportart an. Hier hat in den letzten Jahren auch tatsächlich eine stärkere Abspaltung vom Turnen stattgefunden. Wurden wir von außen oft unter dem Deckel des Turnens wahrgenommen, als wären wir eine Unterabteilung der Turnerschaft, hat hier wirklich ein Wechsel in der Außenwahrnehmung stattgefunden.

Wir sind nur am Boden, wir haben immer drei Übungen mit Musik, wir turnen immer mit einem oder mehreren Partnern zusammen, und wir turnen immer deutlich höhere Elemente. Statische Elemente, Halteelemente, Wurfelemente – was bei den Turnern so überhaupt nicht stattfindet. Dazu kommen auch noch die Sprungelemente mit Saltos als Sprungreihe über den Boden, was die Turner aber auch vergleichbar so machen. Deshalb haben wir in richtigen Wettkämpfen speziell abfedernde Böden, die von massiven Metallfedern getragen werden. Und da kann man dann wirklich sehr gut Figuren turnen, optimal abspringen und stabil landen.

Noch einmal zu unseren leistungssportlichen Ursprüngen, jetzt mal aus ostdeutscher Sicht betrachtet: Soweit ich weiß, wurde die Sportakrobatik in der damaligen DDR schon intensiv gefördert. Eine Sportart, die sich in der DDR letztlich aus der Vereinigung von Turnen und Zirkussport immer weiter hin zur jetzigen Sportakrobatik hin entwickelt hat. Die Leistungsträger sind in der überwiegenden Zahl im Osten angesiedelt. Wenn ich dabei an internationale Wettkämpfe von vor etwa vier Jahren zurückdenke, bestand bis zu 75 Prozent der Nationalmannschaft aus Kameraden, die aus den neuen Bundesländern stammten – genauer aus Dresden, Hoyerswerda und Riesa.

Der Rest setzte sich aus kleinen Grüppchen zusammen, die weit verstreut aus dem Westen stammten. Mittlerweile ist hier aber ein leichter Wandel erkennbar, wie zum Bespiel das Leistungszentrum für Sportakrobatik in Düsseldorf zeigt. Dort gibt es mittlerweile auch sehr gute Leute. Dieser Trend scheint sich – auch durch die vielen sehr kleinen Vereine, die deutschlandweit verteilt oftmals im Westen angesiedelt sind -, mittlerweile zu verstärken, wenn ich die letzten Wettkämpfe auf rein nationaler Ebene so beobachte.

BwSportMag: Viele Schwung und Sprungelemente weisen ja beeindruckende Amplituden auf, da wirken dann nicht unerhebliche sportphysikalische Kräfte. Gerade beim Abgang gibt es zwar eine starke Matte, aber kein großvolumiges Schaumstoffbett wie es bei den Geräteturnern etwa der Fall ist. Wie hoch ist das Verletzungsrisiko und wie sieht es mit der trainingsmethodischen Verletzungsprophylaxe beziehungsweise physiotherapeutischen Prävention aus? 

Leppuhner:  Es kommt zu weitaus weniger Verletzungen als es den Anschein hat und man als Außenstehender glauben mag. Und das, obwohl unser Obermann seine Figuren wohl so um die vier Meter Höhe zeigt. Der Obermann aus meiner Vierergruppe hat sich jedenfalls noch nie verletzt. Und vier Meter Höhe ist, gleich ob bei Balance- oder Tempoelementen – ein schon beachtliches Akrobatik-Format. Es kommt in der Regel – neben den zweckmäßigen Übungsanleitungen unserer Trainer – auf den Sportler selber an. Man kann sich sehr gut vorbereiten, indem man alle möglichen Stabilisierungsübungen regelmäßig durchführt. Das Rezept heißt: Verstärktes Augenmerk auf Stabilisierung legen, beim Krafttraining weniger aufs Pumpen, dafür auf gezielte Stabilisation in den Gelenken achten. Das sind immer die richtigen Schritte, die dazu führen, dass ich keine oder kaum Verletzungen habe.

In der reinen Wettkampfvorbereitung und im Wettkampf selbst gibt es übrigens keinerlei Matten. Da turnen wir auf dem bloßen Federboden. Für den Obermann heißt es dann in letzter Konsequenz – egal in welcher Formation er nun turnt und aus welcher Höhe er kommt –, immer sauber und ordentlich landen, dann kommt es auch nicht zu Verletzungen. In der Gruppe versuchen wir den Obermann auch mit abzufangen, aber das eigentliche Geschäft, nämlich präzise auf dem Boden anzukommen, das muss er allerdings schon selbst optimal beherrschen.

Stolze Mutter: Anke Leppuhner unterstützt ihren Deutschen Meister auch auf internationalem Parkett.

Stolz auf den Bundesadler am Trikot

BwSportMag: Gib unseren Lesern doch mal einen kleinen Einblick in den Makrozyklus und Deinen wettkampfsportlichen Feinschliff, wenn für Dein Team ein bedeutsamer Auftritt auf internationalem Parkett bevorsteht? 

Leppuhner: Da wir als Leistungsträger in regelmäßigen Abständen ausschließlich auf große Wettkämpfe schauen, gestaltet sich unser Training völlig anders als es bei bekannteren Sportarten üblich. Bis zum Wettkampf hin gibt es dann spezielle Programme, wo wir das Training auch entsprechend scharf anziehen. Ungefähr acht Wochen vor dem Höhepunkt trainieren wir immer mehr Übungen hintereinander. Das geht dann soweit, dass wir innerhalb eines dreieinhalbstündigen Trainings unsere kompletten drei Übungen durchexerzieren. Und das dann auch doppelt hintereinander und ohne Pause. Ausdauertechnisch wird das dann wirklich ausgesprochen anstrengend, bis man dann von der Kraftausdauer her völlig im Eimer ist. Das rasche abendliche Einschlafen ist dabei jedenfalls vorprogrammiert!

BwSportMag: Hier beim Training trägst Du ja Bundeswehr-Sportbekleidung mit nationaler Symbolik. Welche Bedeutung strahlt der Bundesadler auf Deinem Wettkampfdress eigentlich für Dich aus, und wie wichtig ist Dir Deine militärsportliche Integration in den Frankenberger Olymp?  

Leppuhner: Oh, ja, den Adler trage ich auf jeden Fall mit Stolz. Die Chance, die ich bei der Bundeswehr bekommen habe, das Glück dabei auch der erste Sportakrobat zu sein, der in den Genuss der Sportförderungen gelangt ist, gibt mir als Sportler, der nun weiter auf hohem Niveau trainieren kann, große Sicherheit. Und das in dem Beruf, den ich ohnehin liebe, also Soldat bei der Bundeswehr zu sein.     

 BwSportMag: Danke Erik, und dann für Dich, für Dein Team und vor allem Euren Obermann allzeit ‚Glück ab‘, wie man hier im Erzgebirge traditionell so schön sagt.

Text: Volker Schubert Fotos: Volker Schubert; Felix Kuntoro; DSAB

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