Deutsche Curling-Sportler trumpfen immer wieder mit internationalen Erfolgen auf. Vier Curling-Spezialisten aus der Truppe – zwei Soldatinnen und zwei Soldaten wollen mit ihren heimischen Teams nach der jüngsten EM in Schweden möglichst „durchstarten“ zur WW 2013 der Herren in Kanada beziehungsweise nach Lettland zur WM der Frauen. Curling? Ist das Eisstockschießen auf höchstem Niveau? Ein paar Unterschiede gibt es durchaus. Curling ist sozusagen die Hohe Schule. Das Prinzip des Spiels ist beiden Varianten ähnlich: Zwei Teams wollen ihre Steine möglichst gut um ein Ziel, das sich in einiger Entfernung befindet, platzieren. Dazwischen eine Eisfläche, die es zu überwinden gilt für die Sportgeräte Eisstock da, Stein dort. Die Sportart fristet und zumindest in Deutschland ein Schattendasein. Dennoch fordert sie auf Leistungsniveau den ganzen Mann bezw. die ganze Frau. Im Rahmen der Sportförderung der Bundeswehr wird Curling gewürdigt und unterstützt.
„Mit dem traditionellen Eisstockschießen hat unser Sport nicht viel zu tun“, betont Konstantin Kämpf, einer der vier Sportsoldaten, für die dieser rätselhaft anmutende Sport aus Schottland zum „Tagesgeschäft“ gehört. Der 23-Jährige aus dem Allgäu hat es in seiner langjährigen Curling-Karriere schon zu vielen Erfolgen gebracht in verschiedenen Teams. Jetzt ist er selber „Skip“, also Mannschaftskapitän des erfolgreichen Team Allgäu aus Oberstdorf. Viele internationale Titel holte er mit seinem Verein.
Curling – wie geht das?
Das Runde muss ins Eckige, heißt es beim Fußball. Beim Curling muss das Runde möglichst ins Runde, ins runde Ziel. Bei dem Spiel auf dem Eis, speziell aufbereitet und mitnichten spiegelglatt, versuchen zwei vierköpfige Teams ihre acht Steine möglichst dicht am Zentrum eines blauen Zielkreises, dem „house“ zu platzieren. Jeder Spieler schießt pro Durchgang zwei Steine für sein Team. Das Spielfeld ist 44,5 Meter lang und 4,75 Meter breit. Für jeden Stein, der näher am Mittelpunkt des Zielkreises, dem „tee“, liegt als der Stein des Gegners, bekommt die Mannschaft einen Punkt. Wer nach acht Durchgängen die meisten Punkte hat, ist Sieger der Partie.
Und die Besen? Hat ein Spieler seinen Stein auf die Reise übers Eis geschickt, dürfen zwei seiner Teamkollegen mit ihren Besen die Bahn vor dem Stein „wischen“. Durch das zum Teil sehr kräftige Reiben auf dem Eis, erwärmt sich die Eisoberfläche, ein hauchdünner Wasserfilm entsteht. So kann das Gleiten der fast 20 Kilogramm schweren Steine beeinflusst werden. Zentimeter sind unterm Strich entscheidend. Natürlich sind die Besen keine simplen Haushaltsschrubber aus dem Supermarkt, sondern ausgetüftelte Sportgeräte, die den Wettkampfbetrieb aushalten – und auch einiges kosten.
Der Skip gibt als Team-Chef die Linie vor, nach der seine Mitspieler versuchen, ihre Steine optimal im Spielgeschehen zu platzieren oder gegnerische Steine aus dem „Haus“ zu bugsieren. Überhaupt geht es beim scheinbar beschaulichen Curling um Sekunden und sogar um Zehntel und Hundertstel: Akribisch verfolgen die Spieler die Gleitzeiten ihrer Steine, um für den nächsten Durchgang womöglich eine Idee schneller oder langsamer zu schießen. Selbst kleinste Fremdkörper auf dem Spielfeld können einen Stein „aus der Bahn“ werfen.
Parallelen zum Autorennen
Curling auf internationalem Niveau setzt entsprechendes Training voraus. „Ein paar Schübe am Feierabend reichen nicht aus“, weiß Hauptgefreiter Konstantin Kämpf. Für lange Turniere muss Kondition gebolzt werden, beim Laufen oder Biken etwa, dazu Krafttraining. Und eben Eistraining, die Feinheiten des Curlings, die tausendfach geübt werden. Es gibt – kaum zu glauben – viele Parallelen zum Auto-Rennsport: Konzentration über Stunden, Taktieren strategisches Denken sind Trümpfe. Ein Turnier könne ja mitunter Stunden dauern, sagen Kämpf und Neuner. „Da muss man bis zum Schluss bei der Sache sein können – körperlich wie mental.“ Nicht umsonst wird Curling mitunter als „Schach auf dem Eis“ bezeichnet.
„Von jeder meiner Teamkolleginnen kann ich sagen, was der Stein macht, wenn sie ihn aus der Hand gleiten lässt“, erzählt Stella Heiß. Damit lenkt die 19-Jährige Curlerin den Blick auf eine weitere Besonderheit dieses Sports. Bei internationalen Turnieren wird keine Nationalmannschaft aus Spielern unterschiedlicher Teams oder Vereinen rekrutiert. Vielmehr qualifiziert sich die nationalen Top-Teams für die anstehende EM oder die WM. „Würde das Team wie beim Fußball zusammengestellt, wären die einzelnen Spieler füreinander nicht berechenbar“, bringt es die Obergefreite auf den Punkt. „Wir kennen uns im Team in und auswendig.“ Und das ist beim Curling entscheidend. „Wir stehen mehrmals in der Woche zusammen auf dem Eis und treffen uns nicht nur alle paar Wochen zu einer besonderen Vorbereitung wie die Nationalspieler beim Fußball.“ Zudem sei die Auswahl angesichts der wenigen aktiven Curlingvereine in Deutschland ohnehin nicht so groß, dass man viel experimentieren könnte.
Die Bundeswehrsportler
Reinschnuppern – so kommen die meisten zu der ungewöhnlichen Disziplin. Als junger Bursche kam Kämpf wie sein Kamerad Daniel Neuner zum Curling – wie andere zum Fußball. Das habe sie gleich fasziniert, erinnern sich beide. „Ein vielseitiger Mannschaftssport, der Konzentration und Ausdauer gleichermaßen fordert – und auch viel Spaß macht.“ Ganz ähnlich begann die Curling-Laufbahn von Corinna Scholz aus Bernbeuren. Zum Curling kam sie über eine Bekannte, die sie mal „zum Schnuppern“ mitnahm. Im Handumdrehen sei sie dieser Sportart verfallen gewesen, erinnert sich Corinnas Vater. „Das will ich machen“, habe seine Tochter damals gesagt und sich durch nichts mehr abhalten lassen, trotz der aufwändigen Fahrerei zum Training in Garmisch-Partenkirchen oder in Füssen. Und irgendwann konzentrierte sich die heute 23-Jährige aufs Curling, die große Leidenschaft. Bei der EM in Aberdeen holte sie mit ihrem Team die Goldmedaille. Zum Beispiel.
Stella Heiß aus Köln ging es nicht anders. Und für alle vier stellte sich irgendwann die entscheidende Frage wie es mit der Sportlaufbahn weitergehen könnte, nach Schulausbildung und Lehre oder Studium. „Irgendwie kam dann der Tipp mit der Bundeswehr“, erinnert sich Obergefreite Corinna Scholz. Weil sie wie ihre Teamkollegin Stella Heiß bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen teilnahm und auf sich aufmerksam machen konnte, ergatterten die Beiden tatsächlich einen der begehrten Plätze bei der Sportfördergruppe.
„Besser konnte es kaum laufen“, bestätigt Stella Heiß, Obergefreite und Mitglied der Sportfördergruppe Neubiberg. Sie könne zum Beispiel nach den Vorlesungen noch mehrmals in der Woche von München nach Garmisch fahren, um zu trainieren. Ohne die Zeit für den Leistungssport wären die anhaltenden Erfolge nicht aus dem Ärmel zu schütteln. Immerhin haben die Curler von September bis Mai Saison mit Liga-Spielbetrieb und vielen Turnieren weltweit. Umso wichtiger, da ist sich das Curling-Quartett der Bundeswehr absolut einig, sei die Form der Sportförderung durch die Bundeswehr. Sonst wäre Curling „made in Germany“ auf internationalem Parkett undenkbar.
Josef Gutsmiedl