3.000 Meter Hindernislauf Frauen – Über Kenias raue Pfade in Rios Hexenkessel

Die gertenschlanke 3.000 Meter Hindernisläuferin Gesa Felicitas Krause ist das neue Covergirl des deutschen Sports, jedenfalls wenn man auf die letztjährigen Pekinger Leichtathletik-Weltmeisterschaften zurückblickt und nicht vom korrumpierten Geldfußball geblendet ist. Und eine Kämpfernatur ist Gesa, wie es im Buche steht. Nur um gut ein Zehntel schrammte die erst 23-jährige Sportsoldatin am Weltmeisterschaftsgold vorbei. In fabelhaften 9:19,25 Minuten – ein Herzschlagfinale par excellence.
Doch ihre Bronze-Medaille im 3.000 Meter Hindernislauf der Frauen ist weit mehr wert als es vordergründig scheint. Mit Ihrer Weltklasseplatzierung im Pekinger Vogelnest konnte die elegante Laufamazone erstmals seit 14 Jahren wieder eine deutsche WM-Medaille bei Laufstrecken über 400 Meter erstreiten. So ist der Pekinger Goldstaub auf Gesa Felicitas Krauses Bronze-Ei auch als kühnes Fanal zu deuten. Und wie ein Weckruf an die deutsche Leichtathletik mit ihrer chronisch kränkelnden Langstreckenlaufszene zu verstehen: Seht her, ihr könnt es auch als Deutsche, als weiße Europäerin schaffen – nämlich den entscheidenden Durchbruch in die Phalanx der als schier unüberwindbar geltenden

Liebe junge Mütter und Väter, seien sie mutig, nennen sie ihren ankommenden Sprössling Gesa, Gesa ist da!“, hätte möglicherweise der legendäre DDR-Fernsehsportmoderator Heinz Florian Oertel angesichts jenes Fabelfinales frenetisch mit kommentiert, als Gesa Felicitas Krause, Deutschlands aktuell beste 3.000 Meter Hindernisläuferin, da im Pekinger Vogelnest nur um den Hauch eines Wimpernschlags an der Goldmedaille bei den 15. Leichtathletik-Weltmeisterschaften mitten im frühkapi­talistisch-nationalkommunistischen China vorbeischrammte. Aber der deutsch- landweit beliebte DDR-sozialistische Fernsehreporter von einst, der ist nun definitiv eine Sportlegende, während sich die deutsche Militärathletin Gesa Felicitas Krause gerade erst anschickt als nationale Leichtathletik-Ikone zu arrivieren. So wie im letzten August und nur gut eine Woche nach dem Pekinger Glanzereignis. Der Tatort: das Internationale Stadion Sportfest 2015, kurz ISTAF genannt. Mittlerweile in der 74. Auflage ist das ISTAF in Berlins olympischem Edeloval ein absoluter Spitzenevent; mehr Leichtathletik-Tradition geht eigentlich gar nicht. So ist das ISTAF sporthistorisch betrachtet nicht nur das älteste, sondern auch das größte Ein-Tages-Sportfest der Welt.

Den Bronzeglanz von Peking beim ISTAF mit „PB“ veredelt

1921 erstmals im damals noch kaiserlichen Ambiente des Deutschen Stadions gestartet, gilt der Berliner Leichtathletik-Event noch immer als eine der weltweit ersten Adressen in der klassischen olympischen Kernsportart. Und was für ein Tag, der erste Septembersonntag des letzten Jahres, der da nahezu perfekt auf Gesa Felicitas Krause und die Weltklasseequipe unter den Ausdauerathleten wartete! Zuvor hatte es geregnet, die Luft war frisch und angenehm kühl und auch der Wind zeigte sich von seiner milden Seite. Und so schaute Deutschlands mutige Pekinger Frontläuferin vor lauter Empathie erfasst, wie gebannt ins olympische Rund. Jede Faser ihrer Laufmuskulatur schien da wohl in biomechanischer Idealdisposition mit dem Publikum zu flirten, als sie auf dem blau gekörnten Kunststoffhochleistungsbelag letzten schnellkräftige Tempospitzen fürs bevorstehende Eliterennen abfeuerte. In optimaler Vor- spannung wollte sie sein, sowohl emotional als auch kognitiv und bis in die Spitzen ihrer Muskelspindeln – die zum Bersten knisternde Atmosphäre der mit rund 55.000 Zuschauern gefüllten Nobelarena stets euphorisch in sich aufsaugend.

Gesas unbändige Lust am Rekord

Und was für ein Athleten-Schauspiel bot sich da noch: Mit großen wachen Manga-Augen, ja fast raubkatzenhaft anmutender Mimik, schaute Gesa da über die eigentümlich blau gefärbte Bahn mit dem sogenannten Tartan, dem ersten Markennamen des nicht mehr aus den Weltstadien wegzudenkenden Hybridbelags von 1968, der in der sportlichen Vergangenheit der deutschen Hauptstadt immer wieder zu Rekorden und Weltklassezeiten ermunterte. Gesas Blick war nun zusehends fokussierter – auf ihre Gegnerinnen und aufs mit vier Hindernissen und einem Wassergraben gespickte Oval. Jederzeit zum Beutesprung gespannt, so schien sie jetzt mental kampfentschlossen. Nur wenige Minuten vor ihrem Extra-Event auf den „krummen Strecken“, wirkte Gesa Felicitas Krause wie im Tunnel. Alle ihre Sinne schienen nur auf ein Ziel gerichtet, dass sie nun mit instinktiver, ja schlafwandlerischer Sicherheit anzupeilen bereit war.

Mit schnellen Beinen auf der „krummen Strecke“

Konkret: Den deutschen Rekord über die „krumme Strecke“ und damit die persönliche Bestmarke (PB) im selten gelaufenen 2.000 Meter Hindernislauf. Wenn es über die schwarz-weiß lackierten Balken geht, erscheint Gesa Felicitas Krause wie in ihrem Element – so, wie derzeit nur ganz wenige andere Läuferinnen auf der Welt. „Kürzer, aber deutlich schneller“, so sollte das Rennen werden, prophezeite sie noch ganz kurz vor dem Start. Folglich war hier auch  gnadenlose Tempohärte gefragt, und das wusste sie am jenem Septembersonntag auch ganz genau, darauf war sie wie vorprogrammiert, innerlich vollkommen darauf fixiert, so schien es. Und so kam es, wie es kommen musste:  Dem sensationellen Pekinger Bronze gleich, stürmte Gesa erneut in WM-Manier über die Zielmarkierung. Was fast zu einem Déjà-vu reichte, denn auch im einstigen Reichssportfeld-Oval der 11. Olympischen Spiele der Neuzeit raffte sich Gesa nochmals zur olympischen Topform auf – finalisierte unter beinharter Weltklassekonkurrenz auf Rang drei und pulverisiert den nationalen Altrekord mit glänzenden 6:04,20 Minuten.

Studieren und trainieren

Siegen, das will die Wirtschaftspsychologie-Studentin, da ist sie unumwunden zielorientiert und ebenso konsequent wie diszipliniert, wenn es um die minutiöse Erfüllung ihrer spitzensportlichen Arbeitspläne von Trainer Wolfgang Heinig geht. Auch in der Ernährung zeigt die anmutige Laufamazone, dass sie mit einer Null-Gramm-Fett-Figur absolut brillieren kann, was die Mehrzahl der Gewichtsbenachteiligten, stets nimmersatten „Otto Normalverbraucher/-Innen“, jedoch schon als magersüchtig denunzieren dürften. Und so unter­- scheidet sich Gesa Felicitas Krause erfreulich fundamental vom stets wohlig gepamperten Bevölkerungsdurchschnitt. Größe 167 Zentimeter, Gewicht 50 Kilogramm und biomechanisch schier vollkommene Hebelverhältnisse, das sind ihre sportmotorischen Laufparameter, die sie bei ihrer tagtäglichen Trainingsarbeit zu weiterer Topform schmiedet. Kerngesunder Ehrgeiz, gepaart mit natürlichem Bewegungsdrang, das sind ihre genetischen Attribute, mit denen sie offensichtlich schon von Kindesbeinen an komfortabel ausgestattet wurde.

Die Pekinger Vogelnestgeschichte geht weiter: Fortsetzung folgt in Rio

Zur  genetisch-orthopädischen Disposition gesellte sich die wohlgesonnen fördernde Unterstützung ihrer Eltern. Sie wäre fünf Tage nach Dieter Baumanns 5.000 Meter Olympiasieg auf die Welt gekommen, hieß es früh im Elternhaus. Das war 1992, als der deutsche Baumann, übrigens Stabsunteroffizier der Reserve, in einem grandiosen Powerantritt auf der Zielgeraden den bis dato geltenden Langstreckenlauf-Kosmos afrikanischer Dauersiege  aus den Angeln hob. Wie unumkehrbar in die Rillen einer Schaltplatte geritzt, will Gesa es dem weißen Kenialäufer Baumann nun gleichtun. Trainiert in der Höhe von Iten, Kenias ultimativer Born- to-Run-Schmiede, mit selbstfabrizierten Hindernisstangen auf staubigen Aschen-bahnen, um für den olympischen Hexen- kessel von Rio den Feinschliff fürs heißersehnte Gold zu erstreiten. Ein absolut realistisches Unterfangen, denn Trainer Heinig schätzt ihr aktuelles Flachstreckenpotential auf 2:01 Minuten über 800 Meter ein. Damit dürfte Gesa nun den entscheidenden Goldkatapult in den Beinen haben: „Ich will um Medaillen mitlaufen, mit Zeiten von 9:10 Minuten bis 9:15 Minuten ist man vorne mit dabei“, so Gesa zum Berliner Sportjournalisten Volker Schubert kampfesmutig und zu allem entschlossen. „Rio16“ kann kommen, mehr Spannung geht nicht!

Text und Fotos: Volker Schubert

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