Bei der Turn-WM im kanadischen Montreal gelang den Deutschen Hauptgefreiter Pauline Schäfer und Tabea Alt eine Sensation. Am Schwebebalken sicherten sie sich Gold und Bronze.
Die Rückkehr in den Alltag war nicht leicht. Zahlreiche Terminanfragen trafen bei Pauline Schäfer und Tabea Alt nach ihren Erfolgen bei den Turnweltmeisterschaften im kanadischen Montreal ein. Nicht nur das „Aktuelle Sportstudio“ des ZDF, auch andere Fernsehsendungen wollten die Gold- und die Bronzemedaillengewinnerin am Schwebebalken ihrem Publikum präsentieren, viele weitere Medienvertreter baten um Interviews. Dazu kamen diverse Ehrungen und Empfänge sowie ein riesiger Haufen an Fanpost und Autogrammwünschen, die beantwortet werden sollten.
„Es ist schön zu sehen, dass so viel Interesse an meiner Wenigkeit besteht“, sagt Weltmeisterin Pauline Schäfer bescheiden. Und Tabea Alt fügt hinzu: „Die TV-Auftritte sind eine große Ehre.“ Denn beiden ist bewusst, und sie haben es in der Vergangenheit auch hinreichend erlebt, dass Turnen nur selten so gefragt ist. Deshalb bemühen sich die Sportsoldatin Schäfer und die in Stuttgart trainierende Tabea Alt darum, möglichst viele solcher Gelegenheiten wahrzunehmen und ihre Sportart in der Öffentlichkeit gut darzustellen. Ein bisschen Aufregung gehört dazu: „Man weiß ja nie, welche Fragen einem gestellt werden“, sagt die 17-jährige Alt trotz ihrer Redegewandtheit. Aber die ungewohnten Herausforderungen, zu denen auch Torwandschießen oder Dartspielen vor der Kamera zählen, bereiten den beiden auch viel Spaß.
Die neue Popularität macht sich im gewohnten Umfeld ebenfalls bemerkbar. So werden die beiden Gerätekünstlerinnen schon mal auf der Straße erkannt und angesprochen, und Alt sah kürzlich in der Schulkantine andere auf sich zeigen. „Man fühlt sich beobachtet“, hat Schäfer festgestellt. „Das ist schon komisch“, ergänzt Alt. „Aber ich bleibe ich selbst.“
Dazu gehört, sich wieder im normalen Training und in der Schulausbildung einzufinden, die beide absolvieren. So hat Schäfer, von ihrem überraschenden Titelgewinn motiviert, schon wieder „neue Sachen“ am Schwebebalken ausprobiert. „Körperlich bin ich ja in einem guten Zustand“, sagt die 20-jährige. „Ich habe nur manchmal das Problem, dass ich wegen der vielen anderen Dinge im Kopf nicht immer abschalten kann.“ Ihre Freundin und Nationalteamkollegin konzentriert sich derweil überwiegend auf ihren Weg zum Abitur. Die Vorbereitung auf die WM und die Tage in Nordamerika haben ihr eine sehr lange Ausfallzeit in der Schule beschert. “Jetzt stehe ich vor einem Berg und habe das Gefühl, ich habe überhaupt keine Ahnung, wie ich ihn bewältigen soll.” Aber sie ist optimistisch, dass sich das Problem schon bald gelöst haben wird. Bei Schäfer soll die Schule, die sie abends nach dem Training besucht, natürlich auch nicht zu kurz kommen. „Aber ich habe lediglich eineinhalb Wochen verpasst, dann waren sowieso Ferien“, erzählt sie. So müsse sie nur wenig Stoff nachholen.
Gutes Zeitmanagement ist dennoch gefragt. So erledigt Alt Aufgaben wie Telefongespräche auf Autofahrten, Schäfer überlässt das Organisatorische ihrer Trainerin Gabi Frehse. Dennoch bleiben bei all den vielen Verpflichtungen Körner auf der Strecke. Und dann bekommen die beiden Topathletinnen auch die negativen Seiten ihrer Berühmtheit zu spüren. Etwa als es beim ersten Bundesligaauftritt nach dem WM-Erfolg und angesichts der kaum zur Verfügung stehenden Trainingszeit in der Woche danach bei Schäfer nicht optimal lief und das – sehr zum verständlichen Ärger Frehses – in den Medien hochkochte. „Es trainiert sich als Weltmeisterin nicht leichter“, sagt die Turnerin selbst dazu.
Doch vieles wird sich wieder einpendeln, der Hype nachlassen. Den Erfolg allerdings, den die beiden auf der großen Weltbühne des Turnsports feierten, den könne ihnen keiner mehr nehmen. „Das wird immer unser gemeinsamer Moment bleiben“, sagt Alt. Bis heute spüre sie noch jede Situation, schießen ihr zahlreiche Gedanken durch den Kopf, wenn sie an die Tage von Kanada zurückdenkt. „Es war sehr schön, dass gemeinsam mit Tabea erlebt zu haben“, bestätigt Weltmeisterin Schäfer. „Es ist nur schade, dass ihre Bronzemedaille ein bisschen untergegangen ist.“
Aus diesen Worten spricht, was beide betonen: Das sie sich schon immer gut verstanden, die Medaillen von Montreal sie aber noch mehr zusammengeschweißt hätten. Dass sie nun gemeinam all das genießen, was daraus resultiert. Und das sie trotzdem in der Zukunft weiter hart daran arbeiten werden, an diese Podestplatzierungen anzuknüpfen.
Für die Trophäen haben beide noch keinen rechten Ort, müssen sie sie doch sowieso noch oft mit sich herumtragen und vorzeigen. Alt hat immerhin schon eine Idee, wo sie das Edelmetall hinhängen wird. Sie wolle es auf jeden Fall mit dem Mini-Schwebebalken in ihrem Zimmer kombinieren. Schäfer wartet derweil noch auf die Rückgabe ihrer Bronzemedaille von der WM 2015 in Glasgow. Die stellt derzeit noch die Sparkasse, ein Sponsor ihres Vereins TuS Chemnitz-Altendorf, gemeinsam mit der gleichfarbigen Olympiaplakette aus, die sich Trainingskollegin Sophie Scheder bei den Spielen von Rio am Stufenbarren verdiente. Bald schon sollen die beiden Trophäen aber wieder an ihre Besitzerinnen zurückgehen. “ Bis dahin“, sagt Schäfer, „überlege ich mir, wo ich sie hinhänge.“
Text und Fotos: DTB