Blutjung an Jahren, von attraktiver Ausstrahlung wie sportlich hochbegabt sind die Geschwister Hermann mittlerweile Vollblutprofis auf dem Eis. Und international deutsche Medaillenhoffnungen, denn die sportive Paarung mit Carolina und Daniel ist im Eistanz seit 2008 auf Erfolgskurs. Auch eine längere Verletzungspause konnte das Geschwisterpaar nicht aus der Bahn werfen. 2012, mit ihrem dritten Platz bei den Deutschen Meisterschaften, haben die beiden Berliner Sportsoldaten wieder den nationalen Anschluss gefunden – liebäugeln für den Olympiawinter 2014 mit metallischen Meriten.
Am 7. Januar nimmt ein klassisches Drama seinen Lauf. Wortlos und nach strengen Regeln inszeniert. Die tragischen Akte darin: Widerstand gegen Unterdrückung, heimliche Liebschaft, Aufbegehren aus verbotenem Untergrund, leidenschaftliches Wiedersehen, Verfolgung, Flucht und schließlich Tod. Ein prosaisch-schicksalhafter Stoff; wie maßgeschneidert für die „Hermann-Sisters“ und deren Kür. Konkret gibt die Musik des epischen Musicals „Marguerite“ das Thema vor – spielt während der deutschen Besetzung Frankreichs im Zweiten Weltkrieg und dreht sich um die gleichnamige Konkubine eines NS-Offiziers, die in Wahrheit den französischen Musiker Armand liebt. Der kämpft im Untergrund gegen die Besatzungsmacht. Später, als beide fliehen müssen, wird Marguerite erschossen.
Eistanz: Kunst und körperliche Höchstleitung par excellence
Der gleichnamige Showdown erfolgt im Eislaufzentrum Oberstdorf. Anlass sind die Deutschen Eiskunstlauf-Meisterschaften 2012, Bühne ist die Halle 1 und die Disziplin heißt Eistanz. Nur noch fünf Minuten vorm Kürfinale: Punkt 17:30 Uhr holen sich Carolina und Daniel Hermann mit ihrer Konkurrenz den letzten Schliff für die Entscheidung. Wer wird Minuten später wo auf dem Treppchen stehen, lautet auch für die rund 200 Zuschauer die spannende Frage. In großen Bögen gleitend, leiten die Hermanns – beide Sportsoldaten von der Sportfördergruppe Berlin – ihre Vorbereitungsproben ein. Ein letzter Check also, ob die hochgradig schwierigen Elemente auch wirklich sitzen. Insgesamt acht Pirouetten, Hebungen und bestimmte Schrittfolgen sind beim Eistanz vorgeschrieben – die Reihenfolge ist allerdings freigestellt. Jedes einzelne dieser komplexen Bewegungsmuster wird streng bewertet, ebenso wie die Transitions, die eleganten Schrittfolgen zwischen den Hebe-, Kombinations- und Drehungselementen.
Erfolgsrezept individuelle Trainingssteuerung
Dem Oberstdorfer Spitzenmeeting ging ein harter Trainingsmarathon voraus, so der Berliner Eiskunstlauftrainer Réne Lohse zu Sportjournalist Volker Schubert. Lohse weiß wovon er spricht, denn 2002, bei den Olympischen Winterspielen in Salt Lake City, belegte das einstige deutsche Eistanzass mit seiner Eiskunstlaufpartnerin Kati Winkler einen beachtlichen achten Rang. Zurück nach Oberstdorf. Die Choreografie sitzt, findet Lohse. Auch weil die Spitzeninszenierung von einem berufenen Experten ersonnen wurde. Maurizio Margaglio, 2001 Europameister im Paartanz und 2002 olympischer Bronzemedaillist, ging bei seiner Performance ganz auf die individuellen Stärken des Hermann-Duetts ein. „Eine eher intellektuelle Herangehensweise“, die sich auch in der Choreografie widerspiegelt, sei dies gewesen, kommentiert Lohse. Und in der Tat, die knochenharte Performance hat sich ausgezeichnet. Auch die „Upside-down-difficult-hold“, ein Spitzenelement im Level vier, dem höchsten Schwierigkeitsgrad den der Eistanz zu bieten hat, gelingt perfekt.
Zwei Sportsoldaten in der Kür
Oberstdorf, 17:35 Uhr. Nun geht es um die Wurst. Stabsgefreiter Carolina Hermann und Hauptgefreiter Daniel Hermann sind an der Reihe, starten als erste in den Wettbewerb. Höchste Konzentration und optimale Körperspannung bei gleichzeitig innerer Gelöstheit sind jetzt gefragt. Schließlich dauert der finale Wertungstanz um die vier Minuten. „Das klingt nicht lange, ist aber wirklich nah an der Grenze der psychischen Leitungsfähigkeit“, so Lohse. Was so leicht aussehe, das „ist mit absoluter körperlicher Höchstleistung verbunden“. Und auch die Frisuren sitzen! Für die Zuschauer präsentieren sich die Hermanns in Topform. „Bei der Kür ist es wichtig, die Geschichte zu erzählen“, unterstreicht Lohse. Hier stünden nicht eben nicht nur die technischen Finessen im Fokus, ergänzt der Spitzentrainer. Kein Wunder, denn den Punktrichteraugen entgeht nichts. Sie beurteilen die künstlerischen Akzente der Eistanzkür – bewerten insbesondere die schauspielerische Leistung und Musikalität ebenso wie die stoffliche Interpretation und die choreografische Darbietung.
Bronze und ein kleiner Wackler
Bereits kurz nach der Ausgangsposition faszinieren die beiden mit Synchronität wie künstlerischem Charme. Die Twizzels, die die kurz währende Wiedersehensfreude von Marguerite und Armand interpretieren, reißt das applaudierende Publikum förmlich von den Sitzen. Harmonischen Schwüngen folgt die Spagathebung, die ebenso fehlerfrei gelingt. Düstere Klänge signalisieren bevorstehende Gefahren, die kurz darauf in sanfte Passagen übergehen. Noch einmal ist das rettende Versteckt gefunden. Doch wie im Musical dramaturgisch vorgegeben, die Verfolger lassen nicht locker. Die zuvor mit großem Können absolvierten Sequenzen mit großer Hebung, Kopf-über-Schraubung leiten mit der Arabesque-Pirouette und perfekt eingestreuten Jive-Elementen das tragische Ende der Bühnenvorgabe ein: Marguerite, nun schwer von einer Kugel getroffen, sinkt im gedämpften Tanz zu Boden und verstirbt in den Armen ihres Geliebten Armand.
„Erstklassiges Pas-de-deux und tolles Comeback“
„Das war eine absolut gelungene Kür“, findet auch Ex-Spitzensportler Uwe Zimmer, Stabsfeldwebel und Bundeswehr-Sportchef von Berlins Militärathleten. Nur ein kurzer, für die Fans kaum wahrnehmbarer Wackler beim Hochheben, der könne die Punktrichter allerdings wenig beeindrucken, lenkt Zimmer abschließend ein. Und in der Tat, die beiden ausdrucksvollen Eistänzer erhalten 72,04 Punkte – vor allem wegen der Leidenschaft, raunt es dazu einhellig aus dem Fanblock. Das ist Rang zwei des Tages. Zusammen mit der Vortagswertung, insgesamt zu 121,35 Zählern addiert, ist das die Bronzemedaille bei den Deutschen. Was wegen des bei den Trainingsvorbereitung reichlich geflossenen Schweißes wie ein kleiner Wehrmutstropfen klingt, ist in Wirklichkeit ein großer Erfolg: „Caro litt in der letzten Saison unter massiven Knieproblemen und Daniel unter einer hartnäckigen Leistenverletzung“. Mit ihrem erstklassigen Pas-de-deux sei ein tolles Comeback gelungen, freut sich Uwe Zimmer, der Ex-Militärweltmeister im Modernen Fünfkampf über seine emphatisch tanzenden Schützlinge, der den beiden für das Fernziel Olympia 2014 durchaus Edelmetall zutraut.
Autor: Volker Schubert
Fotos: Volker Schubert