So erfolgreich war eine deutsche Mannschaft bei einer Europameisterschaft in der Halle noch nie. In allen vier Recurveklassen gingen DSB-Sportler an den Start, in allen vier Kategorien gewannen sie Medaillen und wurden in diesem olympischen Bereich erfolgreichste Nation dieser stark besetzten Titelkämpfe. Mit dem Compoundbogen verzichtete der Deutsche Schützenbund auf eine Entsendung von Sportlern.
„Ich habe jetzt die goldene Mitte gefunden.“ Veronika Haidn-Tschalova sagte diesen Satz in anderem Zusammenhang – aber er traf genau auf ihre Vorstellung zu. Die Bundestrainer-Ehefrau avancierte zur herausragenden Sportlerin dieser Europameisterschaften insgesamt. Die 38 Jahre alte, zweifache Mutter gewann im Einzel wie mit der Mannschaft beide Titel und war überglücklich. „Ich betreibe jetzt 27 Jahre Leistungssport, da tut es schon weh, wenn nichts dabei herauskommt. Aber jetzt weiß ich, es funktioniert wieder.“
Die Kurzbeschreibung ihrer bisherigen Laufbahn der früheren russischen Meisterin kommt einer starken Untertreibung gleich, dennoch landete die Deggendorferin in Koper ihren bisher größten internationalen Erfolg. Im Einzelfinale gegen die Georgierin Khatuna Narimanidse, die zuvor die Berlinerin Lisa Unruh im Halbfinale noch klar mit 7:1 bezwungen hatte, ließ sich die Bayerin beim glatten 6:2 Gold nicht mehr nehmen. Lisa Unruh rundete im kleinen Finale mit dem Gewinn der Bronzemedaille mit einem 6:4-Sieg über die Weltklasseschützin aus Russland, Inna Stepanowa, den riesigen deutschen Erfolg ab. Karina Winter,in Berlin stationierter Oberfeldwebel der Sportförderkompanie, war bis ins Viertelfinale vorgedrungen. In der Runde der letzten Acht war sie nur an ihrer deutschen Kollegin Haidn-Tschalova gescheitert – eine solche Niederlage lässt sich leichter verschmerzen.
Die richtige Mischung
Zumal dann, wenn man dennoch mit Gold im Gepäck nach Hause fährt. Denn auch im Mannschaftswettbewerb waren die Deutschen nicht zu stoppen, das stellten sie noch einmal nachdrücklich unter Beweis. Erst fertigten sie nacheinander die gewiss nicht schwachen Polinnen und Italienerinnen jeweils mit 5:1-Sätzen ab, und auch Georgien hatte im Finale keine Chance und unterlag dem deutschen Trio mit 2:6. „Man spürt inzwischen schon den Respekt der anderen Sportler“, hat Veronika Haidn-Tschalova beobachtet. „Die Art, wie sie dich anschauen und ansprechen, ist respektvoller. Früher hieß es ,Ach, die Deutschen‘, heute heißt es ,Ohh, die Deutschen‘.“
Sie selbst sagt in aller Bescheidenheit zunächst, „trainieren und ein bisschen Glück“ seien die Grundlage ihres Erfolges. Doch sie hat in den letzten beiden Jahren die richtige Mischung gefunden aus ihrer neuen privaten Situation, seit ihr Mann Oliver Bundestrainer geworden ist. „Ich habe gelernt, das Training an die Abwesenheiten meines Mannes durch seinen Job und an die Kindererziehung anzupassen, und die Kinder sind mit fünf und 13 Jahren älter und selbstständiger geworden.“ Sie hat eben die „goldene Mitte“ gefunden, zwischen Erziehung und Training, zwischen Kraft- und Schießtraining, und damit vor allem auch auf der Scheibe.
Ausweitung auf Landesverbände
Die interne Konkurrenz bei den Frauen, die diesmal ohne ihre Olympiateilnehmerin Elena Richter antraten, wirkte sich schon im letzten Jahr vor allem mit den Weltcupsiegen der Hauptgefreite Richter und des Teams sowie des zweiten Platzes von Lisa Unruh sehr positiv aus. Bei den Männern zeigte sich in Koper ein in der internationalen Szene neues Gesicht. Felix Wieser wird das Geschäft durch seine sportliche Konkurrenz ebenfalls beleben. Erstes „Opfer“ des 21-Jährigen wurde ausgerechnet Freiluft-Europameister Florian Kahllund, der in der Qualifikation – wie Lisa Unruh – noch einen neuen Deutschen Rekord aufgestellt hatte. Im Viertelfinale trafen die beiden Deutschen aufeinander, von 150 möglichen Ringen erzielte Wieser 149, Kahllund 148 Ringe, auf höchstem Niveau duellierten sich der Schleswig-Holsteiner und der Bayer, der jedoch am Ende nach Sätzen mit 6:4 die Nase vorn hatte.
Erst im Halbfinale unterlag der Tachertinger Bundesligaschütze bei seinem ersten internationalen Einsatz im Männerbereich überhaupt dem Ukrainer Heori Iwanitski mit 3:7, um sich im kleinen Finale mit Bronze für seine Klasseleistung zu belohnen. Gegen den Italiener Marco Morello verteidigte er seine schnelle 4:0-Führung und gewann schließlich nach zwei abschließenden Remis mit 6:4. Der Berliner Erik Skoeries hatte Heori Ivanitski gleich in der ersten Runde zum Gegner und unterlag mit 2:6. „Das sind sehr schöne Erfolge, über die ich mich riesig gefreut habe“, sagte Bundestrainer Oliver Haidn.
Großes Ziel Kopenhagen
Er fordert dennoch: „Wir müssen das Training weiter anziehen.“ Zwei Wochen blieben dem Nationalteam nach der EM, die meisten verzichteten auf die Hallen-DM eine Woche später in Biberach und legten eine schöpferische Pause ein, dann beginnt das Freilufttraining. „Hoffentlich ist das Wetter schön“, blickte Veronika Haidn-Tschalova voraus. Denn im Freien zählt es in dieser Saison einzig und allein wirklich, denn bei den Weltmeisterschaften Ende Juli in Kopenhagen wird das Gros der Olympia-Quotenstartplätze ausgeschossen. Es ist daher auch für die Zukunft des Bogensports in Deutschland, gerade unter dem Aspekt der finanziellen Förderung, daher die wichtigste Saison.
Nicht beim Nationalkader dabei sein werden in dieser Saison die besten Nachwuchsschützen, sie hätten die interne Konkurrenz noch mehr „aufmischen“ können, wie sie in Slowenien nachdrücklich unter Beweis stellten. So Katharina Bauer aus Raubling als einzige deutsche Juniorin, die sich ins Finale katapultierte. Im Kampf um Gold unterlag sie zwar der Ukrainerin Solomia Nip mit 3:7, doch der Gewinn der EM-Silbermedaille bedeutet ihren größten Erfolg.
Junioren mit zwei Einzelmedaillen
Wie die Damen sicherten sich auch die Junioren mit drei Startern zwei Einzelmedaillen. Die Schützlinge von Trainer Viktor Bachmann gewannen Silber und Bronze im Einzel, im Team scheiterte das Trio erst im Kampf um Bronze mit 2:6 an Slowenien. Damit haben von den insgesamt zehn gestarteten deutschen Athleten bei dieser EM, bei der im Bereich Recurve alle Nationen bis auf Dänemark vertreten waren, deren acht eine Medaille gewonnen – überragend.
Den vierten dritten deutschen Finalteilnehmer stellte Maximilian Weckmüller aus Eschwege. Der 20-Jährige unterlag dem Russen Artem Macknenko nach 5:5-Unentschieden erst mit dem Stechpfeil mit einer Acht von Hallen-Weltmeister Weckmüller gegenüber der Zehn. Marc Rudow aus Oberstdorf, der im Halbfinale im internen deutschen Duell an Weckmüller knapp mit 4:6 gescheitert war, hatte im kleinen Finale das Glück im Stechen, sein Pfeil landete etwas näher an der Scheibenmitte als jener des Ukrainers Oleg Rozhko. Damit ging Bronze an den 19-jährigen Rudow.
Text und Fotos: Harald Strier