67. Deutsche Hallen Meisterschaften 2020 – Mit Boxtraining zu schnellen Zeiten und „nicht mehr so lieb sein“

Im Blitzinterview mit Sportsoldatin Christina Hering (LG Stadtwerke München), 2020 Deutsche 800 Meter Hallen-Meisterin

Spitzensportort Arena Leipzig, die 67. Deutschen Leichtathletik-Titelkämpfe in der Halle. Ende Februar war die Jagd nach dem nationalen Meistertitel das entscheidende Momentum, das die hochgeschossene Laufamazone Christina Hering auf ihrem Weg nach Tokio 2020 mit deutlich spürbarem Hochdruck motivierte. Kein Wunder, denn ihr Vorjahreswettkampf um den deutschen 800 Meter Titel gestaltete sich als hochbrisantes Rennen – dort lieferte sich die Sportsoldatin auf den allerletzten Metern einen zähen Endkampf um die sprichwörtliche Haaresbreite. Das Ergebnis war dann im Ziel so extrem knapp, wie man es nahezu ausschließlich aus Sprintwettkämpfen kennt. Ein sicherlich sporthistorisches Ereignis, wie es gefühlt wohl nur alle 100 Jahre vorkommt. So war es für die Mittelstrecken-Spezialistin auch „sehr wichtig“, sich den nationalen Titel zurückholen zu können. Denn, „um eine Tausendstel will man nicht verlieren“, so die Bundeswehr-Leichtathletin gegenüber dem Berliner Sportjournalisten Volker Schubert. „Mein einziges Ziel war heute, zu gewinnen“, unterstrich die für die LG Stadtwerke München startende nationale Spitzenläuferin dabei weiter.

Das war noch vor ihrem Vorlauf, den sie in einem mutig von ihr gestalteten Rennverlauf schließlich mit Bravour für sich entschied. Auf den letzten Sommer zurückblickend, berichtete sie von der guten Bilanz, die sie erzielen konnte: Mit dem Titelgewinn bei den Deutschen Meisterschaften in der Freiluftsaison und den diesjährigen ersten Hallenerfolgen von Dortmund und Erfurt, wo sie in erstklassigen Leichtathletik-Hallen bereits zwei Rennen für sich entscheiden konnte. Ihr Meisterschaftshallenrennen gestaltete die Militärathletin diesmal in taktischer Lauerposition, ließ den Vortritt der mutig und engagiert anlaufenden Vereins- und Trainingskameradin Katharina Trost. Gut eine Runde vor Schluss setzte die vierfache Deutsche Hallenmeisterin vehement zum Kickdown an, am Ende mit dem so sehr herbeigewünschten Titel. Die Siegeszeit in 2:02,14 Minuten war dann gleichwohl persönliches wie verbandsseitiges Geschenk: Neue deutsche Jahresbestzeit! Im Schlepptau der 25-Jährigen schlugen bei der sympathischen Vizemeisterin 2:02,74 Minuten zu Buche – persönliche Bestleistung für Katharina Trost.

Zunächst noch die Freiluftsaison mit den Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften in Braunschweig vor Augen und dabei in der spätestens im Niedersächsischen erstrittenen nationalen Qualifikationszeit von 2:00:50 Minuten mit Tokios neuem olympischen Edeloval liebäugelnd, wurde die mit Euphorie getränkte Trainingsagenda bald gedämpft. Mutete sich der Seuchenzug der zusehends in Europa grassierenden Corona-Pandemie für die Mehrfachmeisterin und Weltmeisterschaftshalbfinalistin von 2017 zunächst noch „sehr komisch“ und unwirklich an, ergoss sich ihre Gefühlslage bald in bittere Enttäuschung. Einreisestopp in die USA, damit das Höhentrainingslager in Flagstaff passé, waren für sie die ersten Stationen des globalen sozialen wie ökonomischen Herunterfahrens, das kurze Zeit später auch nicht vor Deutschland stoppte. Am Ende blieb der Sportsoldatin nur jene pragmatische Erkenntnis auszusprechen, die das Wichtigste für die überwiegende Volksmehrheit zu sein schien: „Die Gesundheit geht vor!“. Als Trostpflaster blieb ihr dennoch die Erkenntnis, dass sie als Läuferin noch ziemlich gesegnet sei und unabhängig von irgendwelchen Krafträumen und Stadien ihr Training noch „irgendwie durchziehen“ könne. Kurz nach der erfolgreichen Leipziger Titelrevanche sprach der Berliner Sportjournalist Volker Schubert mit der ebenso reizenden wie sportbegeisterten  Militärleichtathletin für das Bundeswehr Sport-Magazin.

 Bundeswehr Sport-Magazin (BwSportMag): Christina, spannende Rennverläufe produzieren, meist als Frontläuferin und nun auch in der Lauerposition. Ist das Dein neues, mittelstreckenläuferisch komplettiertes Markenzeichen als deutsches Aushängschild über die 800 Meter und mit Rückblick auf Deinen Leipziger Hallenauftritt 2019? Letztes Jahr die Zitterpartie um tausendstel Sekunden, heute zunächst tempopräzises Reinhängen, dann ein fulminanter, ja explosiver Antritt noch deutlich vor der Ziellinie und am Ende der Sieg. Von Christina lernen, heißt Taktik lernen, könnte man der Bundeswehr dabei sprichwörtlich ins Stammbuch schreiben. Also, in diesem Sinne, First Impression-Report, wie reflektierst Du Dein Siegrennen jetzt so kurz danach?  

Christina Hering (LG Stadtwerke München): Hier in Leipzig stellte sich auf jeden Fall eine neue Situation für mich. Die letzten sechs Jahre bin ich ja immer von vorne gelaufen. Und jetzt, dieses Mal, habe ich mich einfach mal getraut, bewusst nicht von vorne zu führen. Gott sei Dank ist meine Taktik voll aufgegangen, und natürlich bin ich jetzt auch total stolz, dass das jetzt auch so gut geklappt hat. Ich wusste aus unserem Training, dass wir beide sehr fit sind. Kati hat mir zuvor verraten, dass sie im Finale gleich von vorne laufen will, und das fand ich total fair. Unfaire Spielchen sind bei mir sowieso nicht drin. Außerdem halten wir uns neuerdings mit Boxtraining fit. Da ist man mental schon sehr fokussiert. Vielleicht waren wir vorher einfach auch zu lieb. Das Boxtraining gibt hier schon noch einen weiteren Kick und macht uns noch robuster. Man muss nur aufpassen, dass man es nicht übertreibt und dann mit Muskelkater an den Start geht.

BwSportMag: Du hast ja mit Kathi, Deiner engen Vereinskameradin und Hauptkonkurrentin, gleich von Beginn an ein sehr schnelles Tempo aufs Parkett gelegt, was man gut bei der strammen Durchgangszeit über 400 Meter ablesen konnte. Damit konntet ihr beide am Ende mit klasse Ergebnissen aufwarten. Welchen Stellenwert haben für Dich die Deutschen Hallenmeisterschaften mit frühem Blick Richtung Tokio 2020, eine bedeutende Zwischenstation und schon ein erster, wichtiger Formtest für Olympia?      

Hering: Ja, auf jeden Fall! Ich vergleiche es schon mit dem Olympiajahr 2016. Da hatte ich auch eine sehr starke Hallensaison. Dieses Jahr war ich in der Halle dann doch schon noch stärker: Drei Rennen, drei Siege! Ich glaube, da kann man auf jeden Fall sehr zufrieden sein. Auf jeden Fall war es eine schnelle Zeit, auch wenn ich auf den gestrigen Vorlauf schaue. Und so werden wir ab nächster Woche voll motiviert in die Sommersaison starten. Kathi und ich sind ja zwei sehr unterschiedliche Läuferinnen. Mittelstreckenlauf ist ja auch eine ausgesprochene Individualsportart. Aber ich glaube, wir profitieren beide davon, wenn’s schnell wird, weil wir dann beide auch unseren Schritt laufen können. Persönlich ist es wohl so, dass ich im taktischen Rennen meinen Vorteil habe, weil ich einfach noch etwas grundschneller bin und die Zielgerade immer meins ist.

BwSportMag: Welche Erfahrung ziehst Du aus dem heutigen Rennverlauf; ich bin so stark, ich kann von vorne laufen, ich kann jederzeit mitgehen und dabei jederzeit die Initiative ergreifen und zum Sieg spurten, was meinst Du?  

Hering: Ja, also, ich habe mir jetzt schon den Vergleich mit der Universade zu Nutze gemacht. Da habe ich auch bei ungefähr 550 Metern angegriffen, und da hat diese Taktik auch schon ganz gut funktioniert, obwohl ich am Ende zwar nicht gewonnen habe.

BwSportMag: Nicht gewonnen, da Du flunkerst wohl etwas? Letztes Jahr warst Du im Ziel schließlich das Silber-Girl der 30. Studentenweltmeisterschaft. Ging Dir Dein spannendes Finalrennen von Neapel hier in Leipzig noch einmal durch den Kopf, ist das so etwas, wie ein innerer Kampfkraftmultiplikator für Dich?

Hering: Bei der Universade habe ich schon die bestmögliche Platzierung herausgeholt. Und deswegen hatte ich heute auch das Vertrauen, dass es heute in Leipzig auch so gut klappen könnte. Und das ist natürlich auch, sagen wir mal so, gut, wenn man auch einmal verschiedene Renntaktiken übt. Für Tokio bin ich ja schon über den Weltverband nominiert, aber ich will bis zu den Deutschen in Braunschweig auf jeden Fall noch meine deutsche Qualitätsnorm laufen. Braunschweig ist ja schon sehr früh in der Saison, und Tokio geht auch schon im August los. Die Trainingsplanungen hierfür gehen deshalb auch gleich nach Leipzig los, und wir wollen den Fahrplan dafür so perfekt wie möglich gestalten.

BwSportMag: Und wie sieht es bei Dir aktuell unter den Stichworten Karriere Studium an der Technischen Universität München, Fakultät Sport- und Gesundheitswissenschaften, sowie hinsichtlich der Lehrgangsplanung bei der Bundeswehr aus; Du wirst ja als abgeschlossene Akademikerin im Fach ‚Wissenschaftliche Grundlagen des Sports‘ dennoch als Stabsunteroffizier geführt, ist das richtig?

Hering: Ja, ich bin Stabsunteroffizier. Also, seit letztem Herbst sind wir Sportsoldaten aufgrund der bevorstehenden Olympischen Spiele für Tokio freigestellt. Für Herbst 2020 ist ein Lehrgang an der Sportschule Warendorf geplant, ich glaube der heißt ‚Trainer Bw‘. Den Lehrgang ‚Übungsleiter Bundeswehr‘ habe ich ja schon erfolgreich hinter mich gebracht. Und nach dem bestanden Bachelor an der TU München in Sport- und Gesundheitswissenschaften (Bachelorarbeit zum Literaturthema: ‚Kaltwassertherapie als Regenerationsmöglichkeit nach sportlicher Belastung‘ / Anmerkung des Autors)  geht es auch weiter voran. Ich arbeite jetzt an meiner Masterarbeit in Sport-Management weiter.    

BwSportMag: Zurück zum Spitzensport: Du hast letztes Jahr bei Deiner Trainingsvorbereitung einen für Dich außergewöhnlichen Schritt gewagt. Du bist mit Deinen beiden Kameraden, den zwei 3.000 Meter Hindernisspezialisten Gesa Felicitas Krause und Martin Grau, ins Trainingslager nach Kenia geflogen. Wie war das für Dich, Christina, die beiden Bundeswehr-Spitzenleichtathleten sind ja eher Langstreckenläufer, wie konntest Du da partizipieren?

Hering: Wir mussten uns zuerst natürlich alle an die Höhe gewöhnen. Und da musste ich bei einem ziemlich starken Anstieg auch einmal passen, weil’s wirklich nichts mehr ging. Aber das war dann auch ok. Ich bin dann einfach umgedreht, und die beiden haben mich dann wieder eingeholt. Sonst habe ich mich aber schon getraut, das Training von Gesa in meinem Umfang mitzumachen. Das hat wirklich gut funktioniert. Ich habe zwar weniger Umfänge trainiert als Gesa und Martin, ich glaube aber, von der Geschwindigkeit hat alles sehr gut gepasst. Interessant war die Erfahrung, dass ich trotz der Ausdauereinheiten superschnell war und jetzt viel besser regeneriere.                    

BwSportMag: Christina, heute keine dramatischen Tausendstel zwischen Dir und Kathi. Bist Du jetzt mir Deinem ‚nur‘ Vizemeistertitel von 2019 versöhnt?    

Hering: Ja, auf jeden Fall. Und ich hoffe, dass heute Abend nichts Schlimmes mehr passiert. Letztes Jahr ist mir nach den Rennen ja noch das rechte Außenband gerissen. Das Motto heißt deshalb auch: Den Tag heil überstehen und dann ist alles super!

BwSportMag: Dein Wort in Gottes Ohr. Christina, Dir und Deiner Dauerkonkurrentin wie Dauertrainingskameradin Katharina wünsche ich einen aufsteigenden Saisonverlauf – vor allem durchgehend verletzungsfrei und mit tempostarken Perspektiven für Tokio.  

Hering: Dankeschön! Wir sehen uns in Braunschweig.

Die Fragen stellte der Berliner Sportjournalist Volker Schubert für Bundeswehr Sport-Magazin. 

 Alle Fotos: Volker Schubert                           

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