Erfolg ist kein Glück

Der Preis für unsere Freiheit ist ihre Gesundheit. So krass könnte man die Situation der Kameradinnen und Kameraden beschreiben, die in ihren Einsätzen Schäden genommen haben. Körperlich und / oder seelisch sind sie nicht mehr Dieselben. Sport kann helfen.

Wer kennt das nicht? Der Stress ist groß, der Kopf raucht, der Druck steigt. Dann will man nur noch raus, Fenster auf Kipp reicht schon lange nicht mehr. Raus, den Kopf frei kriegen. Eine Runde an der frischen Luft, Joggen, Radfahren oder was auch immer, wirkt befreiend, die Gedanken sind wieder klarer. So erfrischt, kann man seine Aufgaben wieder besser bewältigen.

Aber was, wenn der Druck so groß ist, die Gedanken so verstörend sind, dass selbst der Alltag zur enormen Herausforderung wächst? „Die meisten Menschen müssen zum Glück nie erleben, was es heißt, Gesundheit und Leben zu riskieren.

Was es heißt, im Einsatz für sein Land und seine Gesellschaft verletzt oder verwundet zu werden – mit bleibenden Folgen“, sagt Alexander Ulrich. Der Stabsfeldwebel leistet Dienst an der Schule für Feldjäger- und Stabsdienst der Bundeswehr in Hannover und weiß, wovon er spricht. Ulrich hatte gleich zwei Schicksalsschläge zu verkraften. Und das er heute wieder dienen kann, verdankt er unter anderem seinem Sport.

Sport – ein möglicher Weg

2016 erhielt er die Diagnose eines Schädelbasistumors. Eine Diagnose, die einen im wahrsten Sinne umhaut, waren es doch körperliche Ausfälle, die den Berufssoldaten auch psychisch schwer belasteten: „Was wird aus meiner Familie und mir? Wie geht es dienstlich weiter?“ Zwar konnte der Tumor zu 70 Prozent entfernt werden, aber der Körper wollte immer noch nicht so, wie Alexander wollte. Das kann jemandem, der bis dahin als Ausbilder, Scharfschütze, Zugriffssoldat, Gruppen- und Zugführer seinen Mann auch in mehreren Einsätzen gestanden hatte, sehr zusetzen. Auch die Tatsache, vermeintlich auch als Familienvater nicht mehr „einsatzfähig“ zu sein, auf geliebte Gewohnheiten und Hobbys verzichten zu müssen, sind nur schwer zu akzeptieren.

„Man muss lernen, sich Ziele zu setzen. Schon das Gehen ohne Rollator als Erfolg ansehen zu können“, berichtet er aus eigener Erfahrung. Diese machte Alex ab 2019 in seiner Langzeittherapie im Zentrum für Sportmedizin der Bundeswehr in Warendorf. Durch zahlreiche Rehabilitationsmaßnahmen erlernte Stabsfeldwebel Ulrich dort die motorischen Abläufe neu. Dann der erwähnte zweite Schicksalsschlag: PTBS! Die posttraumatische Belastungsstörung die in Warendorf festgestellt wurde, stammte von seinen Erlebnissen im KFOR-Einsatz im Jahr 2000. „Ich hatte nun zwei Punkte die mir die Energie abverlangten weiter zu machen und nicht aufzugeben.“ Der Feldjäger merkte während der Sporttherapie, dass er – bestenfalls unter guter Anleitung – andere Wege gehen muss, um seine persönlichen Ziele zu erreichen. Genau diese Anleitung bekommen Einsatzgeschädigte oder schwer Erkrankte im Zentrum Sportmedizin der Bundeswehr bei der Gruppe Sporttherapie. Diese leitet die Teilnehmer an, sich erreichbare Ziele zu setzen, Schritt für Schritt. Bei Ulrich war es zunächst besagter Rollator, auf den er heute meist verzichten kann.

Die neue Komfortzone

„Dieser Lehrgang für Einsatzgeschädigte brachte mich an meine Grenzen. Körperlich anspruchsvoll, aber nicht überfordernd. Es war eher der psychologische Aspekt, der mich aus der Reserve und meiner Komfortzone rauslockte“, blickt Alexander zurück. Die Komfortzone war auch oft der Rückzug in seine Behinderung gewesen oder die Einnahme von lindernden Medikamenten. Aber die Therapeuten ließen nicht locker und halfen Alexander seine Abneigung gegen Liegeräder zu überwinden und ihn für das Indoor-Rudern zu begeistern. „Disziplinen, in denen ich beachtliche Leistungen zu vollbringen imstande war. Die Maßnahmen in Warendorf“, erklärt er, „reichen von der normalen ärztlichen Versorgung über psychologische Betreuung bis hin zu sportlichen und physiotherapeutischen Therapie-Angeboten, größtenteils im Team mit anderen Kameraden.“

„Aufgrund meiner Defizite, vor allem beim Ansteuern der Muskeln und des teilweise fehlenden Gleichgewichtssinns, suchte ich eine komplexe Sportart die mich nun psychisch und physisch so fordert, dass ich das gezielte Training auch im Alltag umsetzen konnte, wie z.B. die Vorfußstabilität.“ So führte der Weg auch zum Diskuswerfen.  In einem Trainingslager im vergangenen Jahr sprach die ehemalige Weltmeisterin im Kugelstoßen, Feldwebel Christina Schwanitz unseren Sportsoldaten an. Alexander war inzwischen für die Invictus Games in Den Haag aufgestellt worden. Christina gab ihm den ein oder anderen Tipp für Verbesserungen im Bereich der Wurftechnik. Auf ihrem eigenen Feldwebellehrgang in Hannover wiederum, trafen sich die Beiden zum ersten Training. „Seitdem arbeite ich sehr erfolgreich mit Christina Schwanitz, als Trainerin und Vertraute zusammen“, freut sich Ulrich.

Invictus Games

Die Invictus Games stehen für sportlichen Wettkampf von Einsatzgeschädigten, bei dem weit mehr als nur sportliche Höchstleistungen zählt. Die Spiele betonen den Teamgedanken, die Kraft des Miteinanders von Athleten, deren Family & Friends sowie den Zuschauern. Sie beziehen auch die Soldatinnen und Soldaten mit ein, die im täglichen Dienst verletzt oder krank wurden und davon eine Einschränkung zurückbehielten. Sie zeigen am Beispiel des sportlichen Wettkampfs, dass Respekt, Wertschätzung und die Kraft des Miteinanders fähig sind, Schmerz, Leid und Ausgrenzung zu bezwingen.

„Save the Date“ lautete der Betreff des Einladungsschreibens zu eben diesem sportlichen Wettbewerb. Alexander Ulrich war nominiert als einer von 20 Athleten, die Deutschland bei den Invictus Games 2020 in Den Haag, Niederlande repräsentieren dürfen. Es war ein ergreifender Moment für ihn. Die damit verbundene Wertschätzung, die Ehre und das in ihn gesetzte Vertrauen, brachten ihn weiter nach vorne. Ebenso Christina Schwanitz, der es bereits nach wenigen Trainingsstunden gelang, Alexander so zu verbessern, dass er aus dem Standwurf 2,5 Meter weiter werfen kann. „Sie hat mir gezeigt, welches Potenzial mir zur Verfügung steht.“ Damit stehen die Disziplinen für Den Haag fest: Indoor-Rudern, Liegerad und im Mittelpunkt das Diskuswerfen.

Die Ziele vor Augen

Seit drei Jahren wirft Alexander nun schon mit dem Diskus und freut sich immer wieder im Ring zu stehen und werfen zu können. „Mein Ziel war es am Anfang, irgendwann einmal die 20 Meter zu werfen. Jetzt habe ich bei den deutschen Para Hallen Meisterschaften aus dem Standwurf 36,19 Meter geworfen.“ Eine stolze Leistung, mit dem Titel des Deutschen Meisters in seiner Klasse, doch der Soldat will mehr: „Der Wurf ist immer noch zu verbessern und ich bin gefühlt erst bei 40 Prozent meiner Leistung und Fähigkeit. Mein großes Ziel und die Herausforderung ist es, irgendwann einmal aus der Drehung werfen zu können.

Dafür trainiere ich jetzt seit ca. fünf Monaten.“ Von Grund auf musste er wieder seine Vorfußstabilität kräftigen, was viele anstrengende Trainingseinheiten mit Schweiß und Schmerz bedeutete. „Der Fortschritt, den ich dadurch aber spürbar gemacht habe, macht mich unglaublich stolz.“

Bei den Invictus Games hofft Alex auf eine tolle sportliche Veranstaltung und sich lange daran erinnern zu können. Er plant außerdem, im Juni bei den Deutschen Para Meisterschaften in Regensburg zu starten und dort die internationale Klassifizierung zu erreichen. Mit Hilfe von Christina in den nächsten drei bis vier Monaten die 40 Meter im Diskuswurf zu schaffen. Erfolge, die zwar ein wenig auch mit äußeren Einflüssen zu tun haben, aber vor allem mit harter Arbeit an sich selbst und konsequentem Training erreicht wurden und werden. Alle Achtung!

Text: Ralf Wilke, Alexander Ulrich

Fotos: Kai-Axel Doepke, Privat, Volker Schubert

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