Bob: Der etwas andere Saisonrücklick mit Cheftrainer René Spies

Angesichts ihrer Dominanz in den zurückliegenden Weltcups und Weltmeisterschaften sind die deutschen Bobteams natürlich als Favoriten in den olympischen Eiskanal von Yanqing gestartet. Dass am Ende aber drei Gold-, drei Silber- und eine Bronzemedaille herausspringen, hätte Bundestrainer Stabsfeldwebel René Spies nicht für möglich gehalten. Denn bis zum Schluss fuhr eines immer mit: die Angst, sich beim wichtigsten Event der Saison doch noch mit Corona zu infizieren.

Das Team gesund durch die Saison zu bringen, war einmal mehr die größte Herausforderung, der sich alle Athleten, Trainer, Betreuer und Unterstützer des deutschen Bobteams gleichermaßen stellten. Die olympische Saison begann mit einem Lehrgang vom 19. bis 23. September 2021 in Winterberg so früh wie nie zuvor, denn neben Nominierungsrennen bei den Männern sollten alle ein erstes Gefühl für Fahrten auf Eis entwickeln, ehe es Anfang Oktober zu den internationalen Trainingswochen auf die Olympiabahn nach China ging. Der BMW IBSF Weltcup 2021/22 wurde erneut nur in Europa ausgetragen. Insgesamt rasten die BSD-Bobathletinnen und –athleten 20 Mal auf Platz eins, 16 Mal auf Platz zwei und sechsmal an die dritte Position. Damit konnte sich Team Deutschland auch die maximale Anzahl an Startplätzen bei den Olympischen Spielen in allen Disziplinen erkämpfen.

Bei den Frauen wurde Olympiasiegerin Sportsoldatin Laura Nolte (BSC Winterberg) bereits vor der Saison gesetzt und bestätigte dieses Vertrauen eindrucksvoll: Bei insgesamt je sieben Zweier- und Monobob-Weltcupstarts landete sie zehnmal auf dem Podest, viermal davon ganz oben, und sicherte sich Platz zwei im Gesamtweltcup. In Yanqing im Monobob mit Platz vier noch unter Wert geschlagen, meldete sie sich im Zweierbob mental stark zurück und fuhr mit Anschieberin Deborah Levi (SC Potsdam) zu ihrem ersten Olympiagold.

Für eine Überraschung sorgte Sportsoldatin Mariama Jamanka (BRC Thüringen), die nach dem erneuten Ausfall ihrer Spitzenanschieberin Annika Drazek (TV Gladbeck) das Abenteuer wagte, die Saison mit Leichtathletin Alexandra Burghardt (LG Gendorf Wacker Burghausen) zu bestreiten, Deutschlands schnellste Sprinterin. Das Experiment gelang, weil sich beide schnell und hochmotiviert im Weltcup aufeinander einstellten und mit zwei sehr guten Tagen an den Lenkseilen den Sprung aufs Olympiapodest schafften. Während Alexandra innerhalb von sechs Monaten zweimal bei Olympischen Spielen startete und ihre erste Olympiamedaille gewann, krönte Mariama ihre erfolgreiche Karriere nach Olympiagold 2018 jetzt mit Olympiasilber.

Bei den Männern war Rekordmann Francesco Friedrich (BSC Sachsen Oberbärenburg) und sein Team wieder das Maß aller Dinge: Mit Ausnahme des Abschiedsweltcups für Alexander Rödiger in St. Moritz und einem „Ausrutscher“ in Sigulda gewann er alle Weltcuprennen im großen und kleinen Schlitten und sicherte sich zum fünften Mal in Folge in beiden Disziplinen den Gesamtweltcup. Zum Saisonhöhepunkt waren erneut die überragenden Startleistungen des Bobteams Friedrich die Grundlage für den Gewinn der beiden Goldmedaillen, denn ein sehr starker Johannes Lochner (BC Stuttgart Solitude) und sein Team verlangte ihnen in beiden Wettbewerben alles ab und belohnte sich jeweils mit Olympiasilber. Für eine Olympiaüberraschung sorgte Bobteam Christoph Hafer (BC Bad Feilnbach), das sich durch hervorragende fahrerische Leistung und sehr gutem Material die Bronzemedaille im Zweier sicherte und einen sehr guten vierten Platz im Vierer erreichte.

Wir haben mit Bundestrainer René Spies gesprochen, um die Olympiasaison noch einmal Revue passieren zu lassen.

Herausforderung der Saison

Eine Olympiasaison ist immer eine große Herausforderung, weil man vor der wichtigsten Saison im Vierjahreszyklus steht und hofft, dass alle Athleten gesund durchkommen, dass das entwickelte Material stimmt und am Ende die Leistungen erbracht werden. Aber die besondere Herausforderung war natürlich wieder ganz klar die Corona-Pandemie und die Verhinderung einer Infektion. Wir sind mit einem sehr stringenten Maßnahmenkatalog in die Saison gegangen und haben ehrlich gesagt unseren Athleten, Trainern und Betreuern, aber auch ihren Familien wirklich sehr viel abverlangt. Aber es hat sich gelohnt: Wir sind, glaube ich, als einzige Sportart ohne eine Corona-Infektion durch die Wintersaison gekommen und haben diese Herausforderung sehr gut gemeistert.

Aufsteiger der Saison

Für mich gibt es zwei Aufsteigerinnen der Saison. Zum einen Alexandra Burghardt, die von null zu Olympiasilber gefahren ist. Natürlich weiß ich, dass sie andere Anschieberinnen verdrängt hat, die auch schon viel investiert und geleistet haben, aber aufgrund ihres Talents, ihrer Leistungsfähigkeit, ihrer Disziplin und dank einer sehr guten Saisonplanung hat sie es am Ende umsetzen können. Deshalb ist Alexandra eine der Aufsteigerinnen des Jahres.

Sportsoldatin Mariama Jamanka und Leichtathletin Alexandra Burghardt (LG Gendorf Wacker Burghausen).

Zum anderen ist die zweite für mich Maureen Zimmer, die sogar Juniorenweltmeisterin im Monobob geworden ist. Sie war zunächst Anschieberin und ist jetzt in der Pilotenausbildung. Sie ist eine sehr leistungsstarke Athletin aus Wiesbaden und betreibt ihren Wechsel an die Lenkseile mit viel Akribie und sehr vielen Fahrten. Sie hat aus meiner Sicht das nötige Talent und die nötige Athletik, um sehr gute Leistungen zu erzielen.

Enttäuschung der Saison

Eine Enttäuschung waren für mich die Richtlinien zur Durchführung von Dopingkontrollen der NADA. Uns wurden immer wieder Kontrolleure geschickt, die nicht getestet sein mussten. Das hat viele Aktive und uns Trainer wirklich Nerven gekostet. Wir haben von unserer Seite mit sehr strengen Maßnahmen alles gemacht, damit wir alle gesund durchbringen, und die größte Gefahr ging letztlich von den NADA-Kontrolleuren aus. Es gab viele mit großem Verständnis, die sich bereitwillig zuerst testen ließen, aber es gab auch eine, die sich weigerte und dann ungetestet längere Zeit in der Wohnung einer Athletin verbrachte. Meine Kritik daran wurde auch öffentlich, aber ich stehe dazu und würde mich jederzeit wieder schützend vor mein Team stellen.

Überraschung der Saison

Die Leistung von Bobpilot Christoph Hafer bei den Olympischen Spielen hat mich am meisten überrascht. Die Weltcupsaison war fahrerisch nicht herausragend, aber in Yanqing hat er an den Lenkseilen Herausragendes geleistet, war zum Saisonhöhepunkt komplett da und hat mit Olympiabronze im Zweier seine maximale Leistung abgerufen. Das war für mich total überraschend.

Überraschend war für mich auch, wie toll Laura und Mariama nach dem Monobob, der fahrerisch wirklich nicht gut war, reagiert haben. Ich wusste, dass eine Reaktion kommt, aber dass beide so phänomenal reagieren, war auch für mich eine erfreuliche Überraschung.

Persönliches Olympia-Highlight

Klingt vielleicht komisch, aber das Highlight ist für mich das Gesamtergebnis. Diese Anzahl an Medaillen bei den Olympischen Spielen, und dass alle ihre Wettkampfleistungen abrufen konnten, ist für mich ein Highlight. Auf einer technisch so anspruchsvollen Bahn hat man das ganz selten. Wir hatten ganz schwierige Trainings auf dieser selektiven Bahn, wo auch bei einem Francesco Friedrich nichts funktionierte. Dass dann die Frauen und Männer im Zweier und Vierer so konstant, fast wie Maschinen, ihre Leistungen abgerufen haben, war für mich das absolute Highlight.

Emotionalster Moment

Ich lasse bei wichtigen Wettkämpfen gar nicht viel Emotionalität zu. Das kommt erst ganz am Ende. Bei den einzelnen Entscheidungen war es ein Auf und Ab der Gefühle, und die Ergebnisse haben mich im positiven Sinne oft sprachlos, aber natürlich auch mit Tränen in den Augen zurückgelassen. Man konnte es in dem Moment aber gar nicht richtig genießen, weil immer gleich die nächste Entscheidung anstand. Dass wir es mit diesem tollen Team beim Finale im Vierer nochmal geschafft haben, zwei Olympiamedaillen zu gewinnen, dass Lochner ganz stabil da war, dass Hafer nur knapp an den Medaillen scheitert, und dass Friedrich wieder überragend zu Gold fährt – das war faszinierend und für mich persönlich extrem emotional. Letztlich sind dann auch die beiden Corona-Saisons von mir abgefallen. Dass nach 4000 Tests, kaum sozialen Kontakten, nach Trennung der Teams untereinander am Ende Athleten, Trainer, Betreuer, FESler alle gemeinsam so eine Teamleistung bringen, war Wahnsinn und macht mich unglaublich stolz.

Text: BSD

Fotos: Viesturs Lacis, Frank May, Max Galys, Martin Ronsdorf

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