DiscoveryDays 2023 – Erschöpfung und Freude am Geleisteten – Jugendliche erleben den Alltag von Gebirgsjägern

In rasantem Tempo saust eine junge Frau an einem Seil über die schwindelerregende Höhe hinweg. Der Seinsbach rauscht im dreißig Meter tiefen Abgrund. Den schwarzen Helm auf dem Kopf, hängt sie mit ihrem Klettergurt an zwei kurzen Reepschnüren, die mit Karabinern am doppelt gespannten Seil eingehängt und gesichert sind. Statt schrill bunter Outdoor-Bekleidung trägt sie Flecktarn-Uniform und wird damit in der felsigen Umgebung fast unsichtbar. Eine Woche lang ist die 18-jährige in eine Bundeswehr-Uniform geschlüpft und lernt mit 21 anderen Gewinnerinnen und Gewinnern eines Internet-Quizspiels bei den so genannten Discovery Days den Alltag der Gebirgsjäger in Mittenwald kennen.

„Die Hände gingen nur zaghaft nach oben“, erinnert sich Zugführer Eric L. als er in die Runde fragte, wer sich eine berufliche Zukunft bei der Bundeswehr vorstellen könnte: „Das war ein gutes Drittel.“ Ob sich weitere noch überzeugen oder gar mitreißen lassen wird sich in den folgenden vier Tagen zeigen. Die gemischte Gruppe rekrutiert sich aus Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus ganz Deutschland, die bei einem Quiz während der Onlinemesse „Operation Heer“ teilgenommen haben. Normalerweise richten sich die Discovery Days an Schüler und Jugendliche zwischen 16 und 20 Jahren. Sie sollen einen direkten, ungeschönten Einblick in den Truppenalltag erhalten. Dieses Mal sind auch junge Erwachsene dabei, die Berufs- und Lebenserfahrung mitbringen.

Die Wandlung vom Zivilisten zum Uniformträger geschah zügig: Direkt vom Mittenwalder Bahnhof wurden die Teilnehmer nach ihrer Ankunft am Montagmittag in die Bekleidungskammer gebracht, wo sie mit dem tarnfarbenen Feldanzug, Gebirgsrucksack, Isomatte, Schlafsack und anderen Gegenständen, die ein Gebirgsjäger in Feld und Fels zum Überleben braucht, ausgestattet wurden. Anschließend stand die Einweisung in die Stuben und das Betten machen an. Der Chef der 2. Kompanie des Gebirgsjägerbataillons 233, Major Hermann P. begrüßte die 22 Interessenten im Kompaniegebäude. Vor dem Zapfenstreich, also dem Zubettgehen, fand noch ein erstes Kennenlernen mit den betreuenden Soldaten statt.

Nur nicht hängen lassen – Abseil-Ausbildung am Seinsbach

Mastwurf, Achter oder Seilstich – kompakte Knotenkunde erwartet die Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Vormittag des zweiten Tages in der Kletterhalle auf dem Gelände der Edelweißkaserne in Mittenwald. Der ersten Unsicherheit beim Bouldern folgte nach den ersten Handgriffen und Fußtritten überschwängliche Freude.

Ernst wird es nun in der Seinsbachklamm, wo das Wissen um Knoten und Bunde praktisch strapaziert und angewendet wird. Den Klettergurt fest am Körper verzurrt, stehen die Teilnehmer in einer Reihe fast ehrfürchtig vor der Felskante. Manchem wird wohl hierbei bewusst, dass das gesamte Körpergewicht an Klettergurt, Seil und Reepschnur hängt, die mit Karabinern und Knotenm, wie Seilstich oder Mastwurf befestigt sind. Die routinierten Handgriffe der Ausbilder, die die Klettergurte kontrollieren, lässt die Angst schwinden. Eine Abiturientin wird in das Seil gebunden, an dem sie abgelassen werden soll. Als die junge Frau an der Felskante zögert, demonstriert Zugführer Oberfeldwebel Eric L. nochmals wie sie sich in das Seil reinhängen soll. Mit einem „Schwupps“ ist sie hinter der Felskante verschwunden und schwebt freudestrahlend in die Klamm hinunter. Auf dem Klammboden angekommen geht es schnurstracks am Seilgeländer die Felsen wieder hinauf. Wer möchte, wagt sich an den einfachen Seilsteg, an dem man sich am Klettergurt gesichert im sogenannten „Bärenhang“ mit den Armen hinüberzieht. Zurück kommen die Teilnehmer dann über die Seilrutsche. Wer immer noch nicht genug hat, kann sich anschließend selbst abseilen. Trotz Erschöpfung heißt es für alle nochmals am Abend „nur nicht hängen lassen“ – es gibt eine Ausbildung an der Kletterwand.

Alle kommen an, keiner bleibt zurück  – winterlicher Bergmarsch zum Hohen Kranzberg

Die Kletter-Strapazen noch in den Knochen spürend geht es am Folgetag mit Schneeschuhen und Biwak-Ausrüstung im Rucksack den Jägersteig hinauf – ein kurzer steiler Aufstieg mit 20 Prozent Steigung zu Beginn der gut fünf Kilometer langen Tour auf den Hohen Kranzberg. Gut 500 Höhenmeter sind dabei zu überwinden. Eine 18-jährige Brandenburgerin ist schnell erschöpft als die Gruppe sich am Rande der Skipiste am Luttensee hocharbeitet. Sie wird nun das Tempo der ganzen Gruppe bestimmen, läuft direkt hinter Zugführer Eric, der zeitweise auch ihren Rucksack trägt. „Wir hatten uns schon überlegt, ob wir nicht zwei Leistungsgruppen machen“, erklärt Oberfeldwebel Eric L., „wir haben uns dann doch für eine gemeinsame Gruppe entschieden. Jeder soll erfahren, dass jeder mitgenommen wird und jeder ankommt. Keiner bleibt zurück.“

Schnaufend und schwitzend schiebt sich die 25-köpfige Gruppe den Hang hoch. Ohne, dass die mitlaufenden Dienstgrade Anweisungen geben, helfen sich die Tourengänger eigenständig untereinander, wenn beispielsweise der Wanderschuh aus den Schneeschuhen rutscht oder das Gepäck zu schwer ist. Davon ist auch Tourenleiter Eric L. angetan: „Unsere Teilnehmer haben sofort Kameradschaft gelebt.“ Die Kameradschaft sei ein wichtiger Grund weshalb sich einer der Teilnehmer überlegt, wieder in die Bundeswehr zurück zu kehren. Der 35-jährige ist der einzige, der unter den Teilnehmern ein Original Namensschild trägt – das hat er noch aus seiner aktiven Dienstzeit behalten: „Im Beruf geht es nur noch um Geld und Karriere. Zusammenhalt und Kollegialität zählen nichts mehr“, erzählt er ernüchtert.

Auf dem Hohen Kranzberg angekommen verschnaufen alle ausgiebig und genießen die atemberaubende Aussicht auf das schneebedeckte Karwendel-Gebirge, dem Mittenwald zu Füßen liegt. Dreieinhalb Stunden Bergmarsch liegt hinter der Gruppe. Es geht wieder bergab, am Wildensee vorbei zum Biwakplatz. Dort wird erstmal Essen gefasst. Total erschöpft und verschwitzt kommt auch die letzte Teilnehmerin an, ein Feldwebel hat sie begleitet und immer wieder motiviert, weiter zu laufen. Freudig wird sie von den anderen Kameradinnen begrüßt. Kompaniechef Major Hermann P. erkundigt sich nach den ersten Eindrücken: Anstrengend sei es, aber die jungen Leute sind Feuer und Flamme. Der Major verdeutlicht, dass einem Gebirgsjäger weit mehr abverlangt wird als jene Herausforderungen, die die Gruppe in den fünf Tagen meistern werden. Generell hätten die Gebirgsjäger Spaß, sich in den Bergen zu bewegen. „Es gibt drei Arten von Spaß“, so der Kompaniechef. Den ersten habe man unmittelbar beim Erleben, den zweiten erlebt man unmittelbar danach. Den dritten wird einem eventuell erst nach in einem halben Jahr bewusst, wenn man an die erlebten Anstrengungen und Strapazen zurückdenke. „Diese Woche gehört zur dritten Art des Spaßes“, unterstreicht der Major.

Zu wenig Schnee – Übernachten im Zelt statt im Iglu

Wegen der schlechten Schneelage fällt der gemeinsame Iglu-Bau aus. Dennoch haben die Soldaten der 2. Kompanie mit Müh und Not aus dem restlichen Schnee ein einziges Iglu gebaut und erklären Bauweise und die Vorzüge des Unterschlupfes – insbesondere im Vergleich zum Zelt. Die Zelte werden dann gemeinsam auf dem Biwak-Platz aufgeschlagen. Der dritte Tag klingt mit intensiven Gesprächen am Tonnenfeuer aus.

„Das Leben im Gelände, das Zusammensein am Lagerfeuer – das sind die Momente, die zusammenschweißen“, betont der Kompaniechef.  Obwohl in dieser Gruppe unterschiedliche Typen an Menschen aus unterschiedlichen Regionen und unterschiedlichen Alters und Bildungsstands zusammengekommen waren beeindruckte ihn die Gruppendynamik: „Alle hatten ein Gespür für Kameradschaft und haben diese auch gelebt. Der Zusammenhalt ist auch dadurch gefördert worden, dass man etwas gemeinsam geschafft hat.“ Ob das nun der anstrengende Bergmarsch, das Abseil-Abenteuer in der Seinsbachklamm oder dann auch die späteren Programmpunkte, wie der gemeinsame Besuch am Ehrenmal der Gebirgstruppe auf dem Hohen Brendten, die Waffenschau oder die Nahkampf-Ausbildung waren. Vielen ist anzumerken, dass sie gerne länger zusammengeblieben wären.

Überwältigt von den Erfahrungen – die Schnupperwoche macht Appetit auf mehr

Selbst Zugführer Eric L. ist erstaunt wie schnell die jungen Leute innerhalb von vier Tagen die Grundzüge des kameradschaftlichen Miteinanders gelernt haben: „Die Kameradschaft bei den Gebirgsjägern ist schon anders als in anderen Truppenteilen“, resümiert er. Das habe die Gruppe gezeigt. Auch er sei von der Stimmung mitgerissen worden. Der Oberfeldwebel leitete zum ersten Mal diese Schnupperwoche in der 2. Kompanie des Gebirgsjägerbataillons 233. Beim Abschlussgrillen am Donnerstagabend sitzen nochmals alle zusammen und erzählen begeistert von ihren Erfahrungen. „Als ich noch als Jäger bei der Bundeswehr war hätte ich mir Gebirgsjäger nie zugetraut“, gibt eine junge Frau zu, die sich auch wieder verpflichten lassen möchte: „Nun weiß ich, dass da noch was geht.“ Auf die Frage von Zugführer Eric L., wer sich nun eine berufliche Zukunft bei der Bundeswehr vorstellen könne, gehen fast alle Hände nach oben. Für den Oberfeldwebel selbst eine Überraschung, aber auch eine Bestätigung dafür, in der zurückliegenden Woche die Härte des Gebirgsjägerdaseins ungeschönt zu zeigen und von den Teilnehmern durchleben zu lassen. Selbst die Abiturientin aus Brandenburg ist noch berauscht, obwohl ihr die Strapazen noch anzumerken sind: „Das war wirklich ein Spaß der dritten Art, an den man sich nach einem halben Jahr gerne zurückerinnern wird. Ich bin glücklich, das durchlebt zu haben. Das erlebt man im Zivilen nicht.“ Sie wird nun an ihrer Fitness arbeiten, um als freiwillig Dienstleistende eventuell im Herbst in Mittenwald ihre Grundausbildung zu machen: „Die Bundeswehr hat mich richtig gecatcht.“

Text und Fotos: Sebastian Krämer / Gebirgsjägerbataillon 233

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