Es ist Mai und für uns Mountainbiker startet endlich die Weltcup-Saison. Eigentlich einen Monat später als sonst die Jahre zuvor. Meine diesjährige Vorbereitung verlief durch den späteren Saisoneinstieg etwas anders, außerdem kam noch ein zu ungünstiger Zeit eingefangener Infekt hinzu. Insofern bin ich gespannt, wie weit ich mit meiner Form für die anstehenden Weltcups bin. Ich habe mich bestmöglichst vorbereitet und bin voller Vorfreude und Anspannung!
NOVE MESTO / CZE – der beste Weltcup der Saison
Die Anreise zum ersten Weltcup in dieser Saison nach Nove Mesto na Morave kann beginnen. Die Taschen sind gepackt und auch das Bike steht bereit. Unglaublich, wie viel Material zu einem Weltcup-Event notwendig ist. Teambekleidung, Teamausrüstung, Schuhe, BH-Bike und –Material. Privatsachen dagegen halten sich sehr in Grenzen.
Ich fahre am Mittwoch bereits früh am Morgen mit dem Auto nach Nove Mesto. 820 Kilometer on the Road!
Wechselhaftes Wetter begleitet mich auf der ganzen Fahrt. Die Wetterprognose für das Event schaut nicht gerade gut aus. Wir werden uns auf Regen einstellen müssen.
Nach einer anstrengenden Autofahrt von zehn Stunden komme ich endlich in Nove Mesto an. Unser Hotel, das Ski-Hotel, befindet sich direkt an der Strecke. Besser geht’s nicht. Das Wettkampfgelände ist im Stadion-Gelände. Dort werden im Winter auch die Biathlon-und Skilanglauf-Weltcups ausgetragen. Die Tschechen haben also mehrjährige Erfahrungen in Weltcup-Veranstaltungen verschiedener Sportarten. Nicht umsonst wurde der Weltcup in Nove Mesto bereits mit der Auszeichnung „bester Weltcup der Saison“ gekürt. Und 2016 wird hier die Weltmeisterschaft XCO stattfinden.
Jetzt also: endlich das Auto ausladen und Zimmer beziehen. Ich bin ziemlich müde von der langen Fahrt und es regnet stark. Bei nassen Verhältnissen wird die absolute Konzentration auf dieser Strecke gefordert sein. Ich gehe erst einmal zu Fuß die Strecke ab, um die Beine nach der langen Fahrt ein bisschen zu bewegen und einen kurzen Einblick zu bekommen. Da die Streckenführung es einfach macht, die markanten technischen Passagen ohne großen Fußmarsch zu erreichen, ist das eine gute Lösung. Ich versuche, mir die Linien einzuprägen, sodass ich am nächsten Tag beim Training nicht viel stehen muss, um mir die Linien zu suchen, sondern sie gleich mit dem Bike meistern kann. In dieser Nacht schlafe ich wie ein Stein.
Linie halten und mit Flow unterwegs sein
Am nächsten Morgen ist das Wetter, wie zu erwarten war: Es schauert. Egal. Regenbekleidung an und rauf auf die Strecke. Sie führt fast ausschließlich durch den Wald. Ausgenommen im Stadionbereich. Es gibt einige gebaute technische Passagen: Rockgarden, Vertikal Drop, Rock’n Roll … fast alles Stein-Passagen. Ansonsten ist die Strecke ziemlich naturbelassen und es geht fast ausschließlich über Wurzeln. Somit ist die Strecke bei nassen Bedingungen noch technischer als im trockenen Zustand! Ich konzentriere mich darauf, meine gewählten Linien zu halten und mit Flow unterwegs zu sein. Ich drehe ein paar Runden, einige Passagen fahre ich mehrmals hintereinander. Heute ist mein Haupttrainingstag auf der Strecke, ich bin fast drei Stunden auf dem Bike. Mit einem guten Gefühl beende ich mein Training und gehe erst einmal unter die warme Dusche. Dann Essen, Massage. Beim gemeinsamen Abendessen ist schließlich das ganze Team komplett vor Ort. Die Stimmung ist gut. Wir besprechen kurz den morgigen Tag, sodass die Abläufe klar sind.
Freitag ist für mich dann Regenerationstag. Und heute bekomme ich mein vorläufiges Wettkampf-Bike mit der neuen Shimano Di2! Auch unser Teamzelt ist neu. Wow! Das Zelt ist riesig. Viel Platz für unsere drei Mechaniker, eine große Arbeitsfläche zum Arbeiten und unsere Bikes! Eddy erklärt mir, wie die neue Di2 funktioniert, und geht mit mir die Bike-Einstellungen durch. Perfekt. Ich schlüpfe in mein Bike-Outfit und mache eine sehr lockere Ausfahrt auf der Straße, um mich an das neue Bike zu gewöhnen: unglaublich schnelle Schaltvorgänge! Meine Entscheidung ist sofort gefallen, am Sonntag bekommt das Bike seinen ersten Weltcup-Einsatz! Mittagessen gibt es zusammen mit dem ganzen Team in unserem Teamzelt. Auch die Fahrer und Fahrerinnen der anderen Teams und Betreuer sind auf der Team-Expo. Schön, endlich auch sie alle wiederzusehen. Da viele Teams im Ski-Hotel untergebracht sind, sitzen wir abends noch oft in der Lobby zusammen. Unter vielen Teams gibt es einfach eine gute, freundschaftliche Atmosphäre!
Gutes Gefühl
Samstagmorgen. Ich wache früh auf und die Sonne scheint mir ins Gesicht. Schön, endlich kein Regen mehr! Heute gibt es die offiziellen Trainingszeiten. Das Frauentraining ist von 9 bis 10 Uhr, Frauen und Männer von 10 bis 11 und von 11 bis 12 Uhr sind die Männertrainingszeiten. Die unterschiedlichen Trainingszeiten sind sinnvoll. So ist nicht allzu viel auf der Strecke los und für jeden ist ein besseres Training möglich.
Ich laufe vom Hotel die paar hundert Meter zum Teamzelt. Kurzer Bike-Check mit Luftdruck-Überprüfung in den Reifen. Dann fahre ich mich auf der Straße ein und gehe auf den Kurs. Heute ist das letzte Training auf der Strecke, bevor es morgen zur Sache geht. Die meisten Fahrer und Fahrerinnen drehen ein bis zwei Runden, um nochmals das Gefühl für die Strecke zu bekommen und Spannung in der Muskulatur aufzubauen. Ich bin vor diesem letzten Streckentraining meistens nervös. Heute beginne ich mit der Startrunde, die hier in Nove Mesto eine verkürzte erste Runde ist. Die ersten technischen Up- und Downhills werden ausgelassen und ein breiterer Weg führt hinauf zum höchsten Punkt, wo es dann in die Originalrunde geht. Für mich ist es zudem das erste Training im Gelände mit meinem neuen Übergangs-Wettkampf-Bike. Ich habe gleich zu Beginn ein gutes Gefühl. Die Umstellung auf die neue DI2 ist ebenfalls kein Problem.
Die erste Start-Ziel-Durchfahrt, jetzt beginnt die eigentliche erste Runde. Ich bin sehr konzentriert und versuche, mich auf die Linien zu fokussieren. Dabei versuche ich, die Downhills flüssig und sauber zu fahren und in den Uphills ein zügiges Tempo anzuschlagen. Pierre, mein Teamchef, folgt mir, um ein paar Filmaufnahmen zu machen. Runde beendet und ich verlasse die Strecke mit einem guten Gefühl.
Jetzt schaue ich mir den Start noch genauer an, vor dem ich großen Respekt habe: eine lange flache Startgerade auf dem Teer, die aus dem Stadiongelände auf den breiten Weg zum höchsten Punkt führt. Die Jahre davor gab es in der ersten Kurve immer Stürze, da hier extrem aggressiv gestartet wird und der Start sehr schnell ist. Meine Startnummer ist die 24 und das bedeutet: dritte Startreihe. Am aggressivsten sind die Fahrerinnen, die nicht ganz vorne starten, da diese alles versuchen, am Start Plätze gut zu machen. Die Fahrerinnen in den vorderen Positionen haben sehr viel mehr Respekt voreinander, da sie nicht auf volles Risiko gehen. Vor dieser Phase habe ich beim morgigen Rennen am meisten Angst, denn die aggressive Startphase ist eine Schwäche von mir. Ich weiß, wenn ich diese Phase gut überstehe, kann ich am langen Anstieg meine Stärke ausspielen und Plätze gut machen!
Die Qualifikation für Olympia startet mit diesem Rennen
Kurzes Ausfahren auf der Straße. Im Teamzelt gebe ich meinem zugeteilten Mechaniker Eddy Feedback über das Bike. Wir haben drei Mechaniker für sieben Fahrer und Fahrerinnen bei diesem Event. Das ist notwendig bei so einem großen Team! Bei mir passt soweit alles gut, so wird mein Bike noch einmal dem üblichen Check vor dem Rennen unterzogen. Ich gehe zurück zum Hotel und nehme eine Dusche. Mittagessen gibt es im Teamzelt, unsere beiden Physios haben gekocht: Reis, Nudeln, Salat, Obst … für jeden ist etwas dabei. Danach Massage. Meine Beine fühlen sich gut an. Ich bin bereit für morgen, aber extrem nervös. Meine Erwartungen sind hoch.
Die Qualifikation für Olympia beginnt mit diesem Rennen. Schon im Vorfeld liegt das bei vielen im Fokus. Ich versuche aber, dies ein wenig auszublenden. Mein Ziel ist es, im Wettkampf meine Leistung abzurufen und mich nicht auf irgendwelche Kriterien zu versteifen und verrückt zu machen. Auch der Startplatz für den kommenden Weltcup in Albstadt wird vom Ergebnis in Nove Mesto mit abhängig sein! Die Presse fragt nach meinem Befinden. Ich weiß mich nicht recht einzuschätzen. Ich will jetzt einfach mein Bestes geben!
Ich versuche am Nachmittag, so gut es geht, zu relaxen. Ich höre etwas Musik, gehe die Strecke gedanklich nochmals im Kopf durch. Richte bereits das Wettkampf-Outfit und bringe die Startnummer am Trikot an. Alles Routine!
100 Prozent Konzentration
Sonntagmorgen. Unser Start wird um 11:45 Uhr sein. Ich nehme das Frühstück ca. drei Stunden vor dem Start ein. Das machen die meisten Athleten so. Der Körper hat dann genügend Zeit, das Essen zu verdauen und man muss nicht mit vollem Magen an den Start gehen. Ich frühstücke mein Müsli mit Banane, Tee und Kaffee – nichts Besonderes! Auf dem Zimmer höre ich noch ein wenig Musik, bevor ich mich auf den Weg zum Teamzelt mache. Normalerweise beginnt meine Aufwärmphase eine Stunde vor dem Start. Wir müssen bereits 20 Minuten vorher in die zugeteilten Startboxen, je nach Startnummer. Mein Aufwärmprogramm dauert ca. 40 bis 45 Minuten auf der Rolle mit eingebauten Intervallen, sodass die Muskulatur auf die kommende Belastung vorbereitet ist. In der Startbox warten wir Athletinnen, bis wir aufgerufen werden, und stellen uns da am Start auf.
Ich habe mich entschieden, mich auf der rechten Seite aufzustellen. Die Minuten vor dem Start sind die aufregendsten. Die Konzentration ist jetzt auf 100 Prozent. Dann der Startschuss. Ins Pedal einklinken und lossprinten. Auf der Teerstraße ist es ein schneller Start. Eine Fahrerin touchiert mich mit dem Ellenbogen. Ich kann dem Druck nicht standhalten und komme in der ersten Kurve von der Fahrbahn ab. Dadurch verliere ich etliche Plätze. Ich versuche, ruhig zu bleiben und am Startberg wieder Plätze gutzumachen. Aber es ist unglaublich eng, und so kann ich meine Stärke nicht ausspielen! Für mich findet dieses Rennen an einem schwarzen Tag statt. Ich komme nicht in meinen Rennrhythmus und das erhoffte Ergebnis bleibt aus! Was für eine Enttäuschung! Die Zuschauer und die Stimmung an der Strecke waren, wie zu erwarten, grandios. Im Teamzelt fahre ich noch 45 Minuten auf der Rolle aus. Dann der Männerstart. Wow. Mit was für einer Power die losstarten und den Kurs bewältigen! Die Zuschauer heizen den Männern im Rennen ordentlich ein! Dann duschen, Auto beladen und die Heimreise antreten … Die Rückfahrt geht sehr viel schneller voran als die Hinfahrt. Gedanken kreisen im Kopf während der langen Autofahrt. Um Mitternacht erreiche ich Freiburg. Todmüde falle ich ins Bett. Am nächsten Tag ist Wasch- und Putztag! Materialpflege, Haushalt in Ordnung bringen. Und Regeneration! Auch am Dienstag steht die Regeneration im Vordergrund.
ALBSTADT / D – mein Heimweltcup
Mittwochmorgen. Ich mache mich auf den Weg nach Albstadt zum Streckentraining. Eine meiner Lieblingsstrecken und mein Heimweltcup zugleich. Ich freue mich sehr auf dieses Rennen. Zumal ich gute Erinnerungen an die letzten beiden Jahre habe, an denen dort Weltcup war. 2013 landete ich auf dem 9. Platz und letztes Jahr habe ich um den 3. Platz gekämpft, bis ich in der Schlussrunde schwer stürzte und auf dem 6. Platz ins Ziel kam. Dieses Jahr kann die Revanche kommen!
Unser Team wohnt 12 Kilometer von der Strecke entfernt in einem Haus. Wir haben Selbstverpflegung und kochen selbst. Das ist sehr gut für die Team-Atmosphäre.
Die Trainings auf der Strecke laufen gut. Ich fühle mich kraftvoll und sicher in den Downhills und freue mich auf den Wettkampf.
Am Sonntagmorgen wecken mich die Sonnenstrahlen. Frühstück. Aufwärmen auf der Rolle. Bereits während der Aufwärmphase kommen Zuschauer an unser Zelt. Dann ist es Zeit für die Startbox. Startaufstellung, Startschuss. Ich bin ein wenig eingeklemmt, komme nicht schnell genug weg und erwische einen schlechten Start! Shit! Die ersten Berge muss ich laufen, da die Fahrerinnen vor mir absteigen. Das Gedrängel ist zu dicht! Dadurch verliere ich Zeit und wichtige Positionen! Endlich kann ich aufs Bike, ich versuche, alle Plätze gut zu machen, das kostet viel Energie. Aber ich will beim Heimweltcup mein Bestes geben. Die Zuschauer helfen mir dabei. Es herrscht eine Wahnsinns Stimmung an der Strecke. Doch heute will mein Körper nicht so, wie ich es gern möchte! Platz 29 am Ende. Die nächste Enttäuschung! Jetzt heißt es, stark bleiben und den Kopf nicht in den Sand stecken!
Zuversicht
Bis jetzt ist diese Saison für mich überhaupt nicht wie gewünscht verlaufen. Aber ich bleibe zuversichtlich. Meine Trainingswerte sind gut und das stimmt mich positiv. Hoffentlich platzt der Knoten bald und ich bin wieder auf meinem Niveau unterwegs. Zudem ist die vorolympische Saison immer etwas speziell. Diese Erfahrung habe ich bereits bei den vorigen beiden Vor-olympischen-Saisons gemacht! Ich werde auf mich vertrauen und mein Bestes geben!
Text: Adelheit Morath
Fotos: Hoshi Yoshida
Adelheid Morath, 30, ist deutsche CrossCountry- Meisterin und zweimalige Olypmia-Teilnehmerin. Die Freiburgerin fährt für das Team BH-Suntour-KMC und ist bei der Sportfördergruppe
der Bundeswehr in Todtnau/ Fahl angestellt. Ein ‚normales‘ Berufsleben wäre auf Profi-Niveau nicht denkbar. „Oft ist man während der Wettkampfphase nur wenig zuhause und lebt mehr oder weniger aus der Tasche!“