Am Zuckerhut wurden die kühnsten Träume wahr – Olympische Wettbewerbe im Kanu-Rennsport

„Beste Nation bei Olympia weltweit. Beste Mannschaft im Deutschen Olympiateam. Wir sind glücklich und danken allen, die an uns geglaubt und uns unterstützt haben“ – kurz und bündig brachte der Post von DKV-Präsident Thomas Konietzko die sechs olympischen Wettkampftage im Kanu-Rennsport in Rio auf den Punkt. Dahinter stecken wahnsinnig viel Begeisterung, Emotionen, Erleichterung, aber auch eine Menge Tragik.

Sprintzweier von der Glücksgöttin verlassen

Einen Tiefschlag ereilte die Kajak-Herren im K2 über 200m. Oberfeldwebel Ronald Rauhe und Hauptgefreiter Tom Liebscher hatten mit Rang vier im Vorlauf und Platz zwei im Semifinale hinter den Briten Heath/Schofield ihre Qualifikationsaufgabe gelöst und waren zuversichtlich für den Endlauf. Ronald Rauhe meinte: „Wir hatten im Vorlauf noch ein paar Abstimmungsprobleme, die wir im Semifinale besser in Griff bekommen haben. Das Finale wird jedenfalls schweineeng, 7 bis 8 Boote kommen durchaus für einen Medaillenrang in Frage.“ Tom Liebscher fügte hinzu: „Wir sind nicht unbedingt die Favoriten für das Finale und das ist glaub’ ich auch ganz gut.“
Dennoch machten sie sich schon einige Hoffnungen mit ihrer „Lady Fortuna“, über die Ronny Rauhe aufklärte: „Ich habe den Aberglauben, nur in ein getauftes Boot zu steigen. Wir haben daher unser Boot mit Piccolo-Sekt auf den Namen der römischen Glücksgöttin getauft, denn über 200m braucht man alles Glück der Welt.“ Gerade im Finale jedoch schien sie die Göttin im Stich gelassen zu haben. Ronald Rauhe und Tom Liebscher fuhren ein Rennen, an dem es an sich nichts zu kritisieren gab, und landeten am Ende auf Rang fünf. Es ist echt schade, wir haben in den letzten Jahren immer gute Ergebnisse gezeigt und da macht man sich natürlich auch für Olympia Hoffnungen“, fand Ronny Rauhe nur schwer Worte. Sichtlich niedergeschlagen meinte auch Tom Liebscher, „ich muss nun erstmal Abstand kriegen zu diesem Ergebnis“.

Kajak-Damen glänzen als „super Mädelstruppe“

Von einem derart nervenaufreibenden Gefühlskarussell wie bei den Kajak-Herren blieben die Kajak-Damen in Rio verschont. Sie eröffneten die olympische Regatta mit einem souveränen Start-Ziel-Sieg der Titelverteidigerinnen Franziska Weber (Potsdam) und Oberfeldwebel Tina Dietze im K2-Vorlauf über 500m vor den Booten aus China und Kasachstan, der ihnen sogleich die Finalteilnahme einbrachte. „Wir sind froh, dass der Einstieg in den Wettkampf so funktioniert hat. Ich denke, mit diesem Auftritt sind wir auch im Finale konkurrenzfähig.“ Sie seien nicht angereist, um hier Zweite zu werden, meinte Franziska Weber. Entsprechend selbstbewusst gingen sie auch ihr Finale an.
Mit einem couragierten Rennen setzten sie das favorisierte ungarische Duo Gabiella Szabo/Danuta Kozak von Beginn an unter Druck. Beide Boote lieferten sich nebeneinander paddelnd über die gesamte Strecke ein packendes Duell, bei dem am Ende die Ungarinnen um den Hauch von fünf Hundertstelsekunden vor dem deutschen Boot die Ziellinie erreichten. Bronze ging an Karolina Naja/Beata Mikolajczyk aus Polen. Denkbar knapp nun doch Zweite geworden, war jedoch bei den beiden Deutschen von Enttäuschung über Silber keine Spur: „Wir sind super glücklich. Natürlich hätten wir gern auch Gold gehabt, aber die Ungarinnen hatten heute eben das Glück auf ihrer Seite. Wir sind ein perfektes Rennen gefahren, bei dem wir uns an keiner Stelle etwas vorzuwerfen haben. Deshalb sind wir auch so glücklich über Silber“, fasste Franziska Weber ihre Gemütslage zusammen. Ihre Zweierpartnerin Tina Dietze fügte hinzu, nach Gold in London nun Silber gewonnen zu haben, sei „etwas ganz Besonderes“.
Im K1 der Damen über 200m reichte leider Platz sechs im Semifinale Stabsunteroffizier (FA) Conny Waßmuth nicht zum Weiterkommen, ihr fehlten am Ende 37 Hundertstelsekunden für die Teilnahme am B-Endlauf.
Im K4 über 500m aber rechneten sich die deutschen Damen im Kampf um olympisches Edelmetall durchaus noch Chancen aus. Und mit dem Semifinalsieg vor den Booten aus Kanada und Großbritannien unterstrich das Quartett mit Sabrina Hering (Hannover), Franziska Weber, Steffi Kriegerstein (Dresden) und Oberfeldwebel Tina Dietze seine Ambitionen auf einen Medaillenrang.
Dort lieferten die DKV-Damen mit einem beherzten Rennen den favorisierten Ungarinnen einen harten Fight, bei dem am Ende das ungarische Quartett mit einer knappen Sekunde Vorsprung die Oberhand behielt. Hinter dem deutschen Boot kam Weißrussland auf den Bronzerang. Franziska Weber zog anschließend das Fazit: „Alles, was wir uns vorgenommen hatten, ist aufgegangen. Wir können zufrieden sein.“ Jetzt sei allerdings der Akku auch wirklich leer. Tina Dietze konstatierte, es seien „auf jeden Fall schöne Spiele“ gewesen, auch wenn „ein klitzekleines Mü zu Gold gefehlt“ habe. Und alle vier betonten, eine „super Mädelstruppe“ gewesen zu sein, Conny Waßmuth als fünfte im Bunde eingeschlossen.

 

Rauhes „Emotionsachterbahn“

Sein Finale zum Auftakt des letzten Wettkampftages geriet dann zu einem besonders spektakulären Moment in seiner langjährigen Karriere. In einem äußerst engen Rennen, in dem die ersten sieben Boote innerhalb nicht einmal einer Sekunde ins Ziel kamen, war der Potsdamer zunächst auf Rang vier angezeigt worden. Völlig niedergeschlagen auf dem Bootssteg vor der Mixed-Zone sitzend quittierte Ronald Rauhe dieses deprimierende Ergebnis. Doch dann wurde die Anzeigetafel korrigiert, mit gleicher Zeit wie der Spanier Saul Craviotto erschien sein Name hinter dem Sieger Liam Heath und Maxime Beaumont (FRA) nun ebenfalls als Dritter. Ronny Rauhe registrierte dies erst, als Arndt Hanisch es ihm lautstark von der ARD-Interviewbox aus signalisierte. Von einer Sekunde zur anderen schlug bei dem Potsdamer grenzenlose Enttäuschung in überschäumende Freude um. Nun bin ich super, super glücklich, dass es in meinem letzten olympischen Rennen doch noch mit einer Medaille geklappt hat.“ Mit dem Potsdamer freute sich ganz besonders auch sein Zweierpartner Tom Liebscher: „Ronny war schon immer mein Vorbild. Er hat der Mannschaft so viel gegeben und stand uns jungen Sportlern nicht nur sportlich, sondern auch menschlich stets zur Seite, er hat diese Medaille mehr als verdient.“

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Oberfeldwebel Ronald Rauhe beim Interview.

Zerrissen für die Teamkollegen

Ihr größter gemeinsamer Triumph hatte Max Rendschmidt und Marcus Groß sogleich Appetit auf mehr gemacht. Mit Blick auf ihre bis dahin noch ohne Medaille gebliebenen Teamkollegen Max Hoff und Hauptgefreiter Tom Liebscher kündigte Max Rendschmidt an: „Jetzt werden wir noch den Vierer runterrocken.“ Und sie ließen dieser Ankündigung Taten folgen: Als überlegener Vorlaufsieger paddelte das Herren-Flaggschiff in der Besetzung Rendschmidt/Liebscher/Hoff/ Groß vor den Booten der Slowakei und Australiens ins Finale. „Wir wissen, dass wir gut sind und Top-Leute im Boot haben. Ich habe meine Goldmedaille schon, nun wollen wir alles daransetzen, dass auch die anderen beiden eine bekommen“, unterstrich der frischgebackene K2-Olympiasieger Marcus Groß und sprach damit voll und ganz seinem Bootskollegen Max Hoff aus der Seele: „Jeder weiß ja, was ich mir erträume, eine Medaille wäre schon gut.“
Im Finale fuhr das deutsche Quartett erneut mit einem Start-Ziel-Sieg dem Teilnehmerfeld davon. Rendschmidt und Co. siegten unangefochten mit fast drei Sekunden Vorsprung vor den amtierenden Welt- und Europameistern aus der Slowakei, Bronze ging an das Boot aus Tschechien – es war seit den Spielen 1996 in Atlanta der erste Sieg eines deutschen Bootes in dieser Disziplin. Neben den Doppel-Olympiasiegern Max Rendschmidt und Marcus Groß kannte die Freude über das ersehnte Edelmetall vor allem bei Max Hoff und Tom Liebscher nach den Ergebnissen zuvor nun keine Grenzen. Auch Tom Liebscher stand die Erleichterung ins Gesicht geschrieben. Konfrontiert mit der Meinung, der K4 sei ja als vermeintlich sichere Goldmedaille angesehen worden, meinte er: „Auch als Favorit muss man ein solches Rennen erstmal hinlegen. Wir sind ja nicht so oft Vierer gefahren, da können auch mal Fehler passieren. Sicher war auch nicht alles perfekt, aber jeder von uns hat im Finale noch mal eine Schippe draufgelegt.“

Text: H.-P. Wagner/DKV Fotos: H.-P. Wagner/DKV; E. Rahn-Eick

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