Europameisterschaften der Luftdruckschützen

Nicolas Schallenberger schoss völlig unbekümmert seinen EM-Vorkampf.

Nicolas Schallenberger schoss völlig unbekümmert seinen EM-Vorkampf.

Die Präzisionssportler standen vom 27. Februar bis 2. März vor einer besonders schwierigen Aufgabe. Die Europameisterschaften in Odense waren die ersten internationalen Titelkämpfe, die nach den neuen Regeln des Weltschießsportverbandes International Shooting Sport Federation (ISSF) ausgetragen wurden. Zur neuen Olympiade bis Rio de Janeiro 2016 sollen damit insbesondere die Finals für die Medien und Zuschauer interessanter, spannender und dramatischer werden. Die ersten praktischen Erfahrungen unter harten Wettbewerbsbedingungen zeigen: Von den Sportlern wird höchste Flexibilität verlangt, die Schützen werden praktisch zu Zweikämpfern – aber spannend ist es eben auch, in zwar über die gesamte Zeit.

Am Vormittag des Wettkampftages steht die Qualifikation für das Finale der besten Acht an, das war schon immer so, und mit der Luftpistole gibt es auch keine Neuerungen. Außer dass die Sportler wissen: Das Einzige, was in diesem Wettkampfabschnitt zählt, ist unter die besten Acht zu kommen, denn im Endkampf geht es von vorne, bei Null, los. Die Finalergebnisse werden nicht mehr mit denen aus dem Vorkampf addiert. Das ist die gleiche Änderung wie in der Disziplin Luftgewehr.Doch die Schützen mit der Langwaffe müssen sich auch im Vorkampf selbst umstellen. Denn ab diesem Jahr wird international nicht mehr nur die volle Ringzahl gewertet, auch die Zehntel der 40 Schuss bei den Frauen und 60 Schuss bei den Männern werden hinzu addiert. Ergebnis sind nicht nur völlig neue Rekordwerte, auch die Maßstäbe etwa für das Finale verschieben sich. An die neuen Werte müssen sich Trainer wie Sportler erst gewöhnen. Und an die Taktik: Eine hohe Neun war noch im letzten Jahr ein großes Ärgernis, jetzt ist eine 9,9 zum Beispiel ein guter Schuss. Andererseits steigt der Druck bei mehreren geringen Zehnern in Folge. Eine 10,4 im Schnitt muss es schon sein, zeigte sich auf der dänischen Insel Fyn in der gleichnamigen riesigen Arena. Und im Finale geht dann alles wieder von vorn los, mit ganz neuem Modus.

Im Finale eingerahmt von hochkarätiger Konkurrenz (v.li.): Niccolo Campriani, Witali Bubnowitsch, Nicolas Schallenberger und Peter Hellenbrand.

Im Finale eingerahmt von hochkarätiger Konkurrenz (v.li.): Niccolo Campriani, Witali Bubnowitsch, Nicolas Schallenberger und Peter Hellenbrand.

Beim Debüt mit Bestleistung

Noch im letzten Jahr, bei Olympia, hätte sich beispielsweise ein Niccolo Campriani ein wenig auf seinem Vier-Ringe-Vorsprung aus dem Vorkampf ausruhen können. In Odense jedoch misslang dem italienischen Luftgewehr-Weltmeister der Einstieg in das Finale – und schon als Dritter der acht Finalisten musste er ausscheiden. Denn nach zwei Drei-Schuss-Serien, wieder mit Zehntelwertung, und ab dem Finalstart werden alle Resultate addiert, und zwei weiteren Schüssen auf Ansage scheidet der schwächste Sportler aus, alle zwei weiteren Schüsse muss der nächste Finalist die Segel streichen. Da sind die Regeln mit Luftgewehr und -pistole identisch. Nach jeweils 18 Schüssen bleiben die beiden bis dahin besten Schützen am Stand, nach zwei weiteren Schüssen stehen Sieger und Zweiter fest.

Es war nicht damit zu rechnen, dass ausgerechnet Nicolas Schallenberger der einzige deutsche Schütze im Luftgewehrfinale sein würde. Nur die Zugehörigkeit zum Top Team Future, mithin seine relative Jugend von 23 Jahren, hatte ihm das Ticket für Odense gebracht, nach lediglich Platz sechs in der Ausscheidung. Eigentlich waren etablierte Sportler wie Jürgen Wallowsky oder Tino Mohaupt besser gewesen, doch das neue Konzept im deutschen Schützen-Leistungssport griff. Denn international hatten eben viele dieser etablierten Sportler wiederholt nicht die Hoffnungen erfüllen können, die auf ihnen ruhten, wie zuletzt etwa Mohaupt bei Olympia in London. Schallenberger hingegen ist noch jung und unverbraucht, und sein klares Ziel lautet: „Ich will nach Rio 2016.“ Eigentlich hat er dabei aber eher das Kleinkalibergewehr im Sinn, seine stärkere Waffe. Mit dem Luftgewehr jedenfalls gelang ihm der erste Coup. „Dass ich ausgerechnet hier und bei meiner ersten EM-Teilnahme bei den Männern überhaupt aber Bestleistung schieße, hätte ich nie gedacht.“

Hauptfeldwebel Claudia Verdicchio-Krause zeigte eine ordentliche Vorstellung.

Hauptfeldwebel Claudia Verdicchio-Krause zeigte eine ordentliche Vorstellung.

Alle Voraussetzungen geschaffen

599 Ringe wären es nach der alten Zählweise, 525,4 Ringe nach der neuen, die die getroffenen Zehntel mit berücksichtigt. „Ich werde mir in diesem Jahr in jedem Fall eine doppelte Buchführung zulegen“, meinte Bundestrainer Claus-Dieter Roth – nur für den Fall, dass die Zehntelzählweise über das Jahresende hinaus keinen Bestand haben sollte. Für Schallenberger machte das keinen Unterschied: Er war an Position drei ins Finale eingezogen. Der italienische Weltmeister, der für Coburg in der Bundesliga schießende Niccolo Campriani, lag da weit vorn, 631,2 hieß sein Resultat, Welt- und Europarekord. Seine schlechteste Serie lag bei 104,5 – alle überragend.

Doch ein solches Resultat ist nach den neuen Regeln eben nur ein Muster von stark begrenztem Wert. Niemand musste das in Odense bitterer erfahren als der sympathische Italiener, der noch lächelnd ins Publikum winkte, als er früh das Finale verlassen musste und nur Sechster wurde. Denn im Finale, das bei Null begann, kam er überhaupt nicht zurecht, wie vor ihm der „Weltschütze des Jahres von 2010“, der Ungar Peter Sidi. Prominente Schützen, die Schallenberger im Finale im Nacken saßen, deren Ansturm er jedoch kaum bemerkte und schließlich abwehrte. „Vor den Schützen stehen im Finale zwar Bildschirme, die den Gesamtstand anzeigen, doch ich versuche, diese angezeigten Zwischenresultate auszublenden.“ Das gelang ihm sehr gut, wie schon im Vorkampf. „Da habe ich geschossen wie im Training, von Nervosität keine Spur. Dabei ist das für mich völlig untypisch.“

Nach alter Wertung wäre Beate Gauß souverän ins Finale eingezogen.

Nach alter Wertung wäre Beate Gauß souverän ins Finale eingezogen.

Eine Leidtragende der neuen Zählweise

Im Finale schickte er sich gerade an, die Medaillenränge zu erklimmen, als ihm doch noch zwei Treffer in die Neun unterliefen. Platz fünf war für ihn ein sehr gutes Ergebnis – und dürfte Ansporn genug sein, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen. Seit 2010 ist er, inzwischen im Range eines Hauptgefreiten, bei der Bundeswehr in Neubiberg bei München stationiert. Aus dem Aschaffenburger Raum zog er kürzlich nach Niederlauterbach um. Schon mal gehört? Richtig, dort wohnt auch Olympiafinalist Daniel Brodmeier zusammen mit seiner Freundin Nicole Stenzenberger, mit denen Schallenberger in einer Gruppe unter dem bayerischen Landestrainer Mario Gonsierowski trainiert. Die Voraussetzungen, sich sportlich weiter zu entwickeln, hat er also geschaffen.

Beate Gauß wäre auf 398 Ringe, die sie nach alter Wertung erzielte, sicher ins Finale gekommen. Das half ihr jedoch nicht viel. Denn die Olympiateilnehmerin hatte eine 9,3 und eine 9,6 dabei. „Diese Schüsse sind zu gering, die Zehntel fehlen ihr einfach, das ist schwer aufzuholen“, meinte Trainer Frank Köstel, der sie während des Wettkampfes genau beobachtet hatte. Zumal auch die Zehner der mit 28 Jahren erfahrensten deutschen Gewehrschützin zu gering ausfielen, so dass sie mit 413,3 sogar den geringsten Wert des deutschen Trios aufwies, trotz des höchsten „alten“ Resultates. Doch die in Bruchsal im Range eines Oberfeldwebels stationierte Sportsoldatin durfte sich mit Mannschaftssilber trösten, einen Ring hinter den starken Italienerinnen, die die Plätze acht, neun und zehn belegten, und einen Ring vor den im Sog der „Ungerank-Sisters“ immer stärker werdenden Österreicherinnen.

Erste Medaille seit langem

Keine der drei Luftpistolen-Damen hatte das Finale erreicht, das war eher eine Enttäuschung. Doch so richtig unglücklich wirkten sie nicht, auch der als kritisch bekannte Bundestrainer Peter Kraneis nicht. „Wir haben eine Mannschaftsmedaille geholt, das ist uns bei den Frauen mit der Luftpistole seit ewigen Zeiten nicht mehr geglückt.“ 379, 376 und 375 Ringe durch die langjährige Sportsoldatin Munkhbayar Dorjsuren und die aktuellen Bundeswehrangehörigen Claudia Verdicchio-Krause und Sandra Hornung sorgten für Bronze, recht einhellig auf gutem Niveau.

Aber eben keine herausragende Leistung, und davon hätte sich Kraneis zumindest eine gewünscht. „Das Niveau hier war sehr niedrig, schon 380 Ringe haben für die Finalteilnahme genügt.“ Diese Gesamtleistungen waren wohl eher den Lichtverhältnissen geschuldet denn der Klasse der seit Jahren bekannt guten, auch besser schießenden Sportlerinnen. Schließlich waren auch international bekannte Sportlerinnen dabei, die Rang und Namen haben – und bei den Männern war das Ergebnisniveau ähnlich unterdurchschnittlich. „Ich habe noch nie bei LED-Beleuchtung geschossen, da musste ich mich umstellen und hatte damit Probleme“, merkte etwa Hauptfeldwebel Claudia Verdicchio-Krause an. Außerdem mussten sich die Pupillen ständig von der dunkel gestalteten Halle auf die hellen Scheiben umstellen. Dazu kam die Zeitverkürzung auf 50 Minuten. „Früher hattest du die Zeit, ein eventuelles Problem in den Griff zu bekommen, weil du Zeit hattest, mal rauszugehen. Das geht jetzt nicht mehr“, findet Verdicchio-Krause.

Autor: Harald Strier

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