Bad Reichenhall – Zermatt – – Gebirgsjäger auf der Dufourspitze
17 Soldaten des Gebirgsjägerbataillons 231 aus Bad Reichenhall standen am 20. März auf dem höchsten Gipfel der Schweiz. Im Rahmen ihrer alljährlichen Hochgebirgsausbildung war die Skihochtour auf die Dufourspitze der Höhepunkt einer zehntägigen Ausbildung im schweizerischen Andermatt.
„Das sieht ja aus wie eine Ufo!“, sagt der 20-jährige Gefreite Markus Maiwald aus Ingolstadt mit Blick auf ein hell leuchtendes Objekt oberhalb des Grenzgletschers im Monte Rosa Gebiet. Die aluminiumbeschichtete Außenhülle und zahlreiche Photovoltaikplatten ergeben das futuristische Design der 2009 neuerbauten Monte Rosa Hütte. Für uns, das sind 17 Soldaten des Gebirgsjägerbataillons 231 aus Bad Reichenhall, ist das „Ufo“ am 20. März der Ausgangspunkt für die am darauffolgenden Tag geplante Besteigung des mit 4.634 Metern höchsten Berges der Schweiz, der Dufourspitze. Benannt ist sie nach dem Schweizer General Guillaume-Henri Dufour, dem Herausgeber des ersten exakten Landkartenwerkes der Schweiz.
Von der Zahnradstation Rotenboden aus tasten wir uns auf Ski über ausgeaperte, felsdurchsetzte Südhänge und durch sulzigen Schnee hinab zum Gletscher. Unnachgiebig brennt uns beim Zustieg zur Hütte über den unzählige Fußballfelder großen Gornergletscher die Sonne ins Gesicht. Sturzbäche an Schweiß laufen jedem von uns über Stirn und Rücken. Zweieinhalb heiße Stunden dauert unser Zustieg zum „Ufo“. „Zieht euch was Trockenes an. Trinkt viel, sonst tut euch heute Abend der Kopf weh, wegen der Höhe“, warnt Hauptfeldwebel Andreas Wiedenmann die Soldaten nach der Ankunft auf der 2880 Meter hoch gelegenen Hütte.
Freier Blick vom „Ufo“ zum Gipfel
Die Lage der hochmodernen Herberge lässt von der Terrasse aus einen Blick auf den Aufstieg des kommenden Tages zu. „Morgen ist langsames Gehen der Schlüssel zum Erfolg“, gibt Andreas als Parole an die drei Bergführer, die ihn beim Aufstieg unterstützen, aus. Den Gipfel im Blick besprechen die erfahrenen Bergsteiger die Aufstiegstaktik. 13 junge Soldaten haben die Heeresbergführer in diesen Tagen unter ihren Fittichen. Für einen Großteil der 13 ist es der erste Viertausender. Ein ziviler Bergführer reibt sich auf der Terrasse des „Ufos“ beim Anblick unserer Gruppe die Augen. „Do you want to go to the summit with all of them?“, fragt uns ein slowenischer Bergführer am Abend völlig verwundert. Für ihn, der es gewohnt ist, maximal zwei Gäste zu führen, sind wir nicht nur aufgrund unserer Uniformen, sondern vor allem wegen der Gruppengröße exotisch.
Fein säuberlich packt jeder seinen Lawinenrucksack vor dem Zubettgehen. Die Ausrüstung steht griffbereit neben dem Bett für den nächsten Morgen parat. Das Klingeln des Weckers um 2.30 Uhr ist wie eine Erlösung. Es setzt dem in einer Höhe von 2880 Metern unruhigen Schlaf im muffeligen Bettenlager endlich ein Ende. Hastig schlingen wir Müsli und Brot mit Käse in uns hinein. Gesprochen wird nur das Nötigste. Dies ist nicht der allen ins Gesicht geschriebenen Müdigkeit geschuldet, sondern einer großen Portion Anspannung vor dem, was auf uns zukommt.
Sternenklar ist es um 3.42 Uhr, als wir uns bei – für diese Höhe und Uhrzeit – angenehmen fünf Grad unter null im Schein der Stirnlampen auf den Weg machen. Schwer drücken die mit Getränken, Steigeisen, warmer Bekleidung, Kletterausrüstung, Seilen und Lawinenausrüstung bis oben hin gefüllten Rücksäcke auf unsere Schultern. 1.700 Höhenmeter im vergletscherten Gelände liegen vor uns. Der Puls schnellt ab dem ersten Schritt in die Höhe. Jede hastige Bewegung quittiert der Körper hier oben mit Schnappatmung.
Haifischzähne unter den Füßen erleichtern das Steigen
Wie Haifischzähne ins Fleisch bohren sich die Harscheisen unter unseren Skiern in den pickelhartgefrorenen Schnee. In den steilen Querungen geben sie auch bei unkonzentriertem Steigen stabilen Halt. Über die sogenannte „obere Plattje“ steigen wir zügig auf. Außer der eigenen Atmung, dem Knarzen der Harscheisen im Schnee und dem Wind, der die Jacke zum Flattern bringt, ist nichts zu hören. Wie eine Glühbirnenkette sieht es aus, als wir in der Dunkelheit beginnen, uns Meter für Meter in die Höhe zu kämpfen.
In einer der wenigen Pausen ist der Mund bei vielen weit aufgerissen. Das mag am Ringen nach Sauerstoff liegen, wahrscheinlicher ist aber, dass das für alle überwältigende Bergpanorama zu einer Mundöffnung führt, die sich jeder Zahnarzt bei der Behandlung wünschen würde. Das Mondlicht lässt rechts von uns die mächtige eisige Nordwand des Liskamm blau erleuchten. Die Viertausender Castor, Pollux und Breithorn stehen rechts davon für unseren Aufstieg Spalier. Hellblau und orange färbt sich der Himmel, als ihn die ersten Sonnenstrahlen küssen und unsere kalten Finger langsam auftauen. „Schaut mal nach Westen“, sagt Andreas und zeigt mit seinem Skistock auf unterschiedliche Gipfel, die den Rahmen hinter uns komplettieren. „Da seht ihr ein paar der großen Alpengipfel: Dent d’Hérens, Matterhorn, Dent Blanche, Obergabelhorn und Zinalrothorn“, erklärt er den immer noch staunenden Soldaten.
Hier, mitten im Gebiet der Monte Rosa, befinden wir uns in einer der größten „Arenen für Bergsteiger“. Unzählige Berge, wie Kinder sie malen würden, und Ausmaße, die in einem Menschenleben nicht zu erlaufen sind, führen bei vielen von uns zu ehrfürchtigem Innehalten.
Lange zieht sich der Aufstieg über den an nur wenigen Stellen steilen Gletscher nach Südosten auf den 4.515 Meter hoch gelegenen Silbersattel. „Ski ausziehen, Steigeisen aufziehen, Skier an den Rucksack schnallen, Eispickel griffbereit. In fünf Minuten marschieren wir weiter“, gibt einer der Heeresbergführer am Fuße einer eisigen Steilstufe an uns weiter. Was auf Meereshöhe im Handumdrehen erledigt ist, wird in über 4.000 Meter Höhe im absturzgefährdeten Gelände und mit kalten Fingern zur Herausforderung. Flinke Finger verhindern das Auskühlen des Körpers und eine große Portion Konzentration sorgt dafür, dass man nicht abrutscht und sich mehrere hundert Meter unterhalb – im schlimmsten Fall schwer verletzt – auf dem Gletscher wiederfindet. Vorne weg präparieren bereits die Bergführer die Spur und helfen allen dabei, auch diese Passage zu meistern.
Sonnenstrahlen begrüßen uns um 8.40 Uhr, als wir im Silbersattel ankommen. Links von uns zieht eine scharfe Firnschneide hinauf zum Nordend, rechts von uns liegt die Schlüsselpassage der Skihochtour zur Dufourspitze. 100 Höhenmeter müssen wir noch in einer ausladenden Verschneidung überwinden, bevor wir den Tiefblicke gewährende Gipfelgrat betreten. Sicher und schnell steigen drei Heeresbergführer auf und legen ein Seilgeländer, an dem sich die restlichen Soldaten im Auf- und Abstieg sichern können.
Nur nicht stürzen
Die Felsen sind mit einer glasigen Eisschicht überzogen. Das Gehen erfordert perfekte Technik und Körperbeherrschung. Eis spritzt nach allen Seiten weg, wenn sich die Frontalzacken der Steigeisen und der Eispickel wenige Millimeter in das betonharte Eis bohren. Ein meterweiter Sturz in diesem Gelände mit Steigeisen an den Stiefeln und einem Eispickel in der Hand hätte zwar keine tödlichen Folgen, aber das Risiko fataler Verletzungen wäre dabei enorm hoch. Grenzerfahrung nennt man das wohl, wenn wir mit dem linken auf der italienischen und dem rechten Bein auf der schweizerischen Seite, akrobatische Kunststücke in einer Höhe von mehr als 4.500 Metern vollführen.
Ein ausgesetzter 30-Meter Grat ist das große Finale, bevor sich auf dem schmalen Gipfel die Soldaten aus Reichenhall in die Arme fallen. „Gratuliere Markus! Super Leistung! Du kannst stolz auf dich sein“, sagt Andreas zum Ingolstädter Maiwald, der zum ersten Mal auf einem Viertausender steht, und klopft ihm auf die Schulter. „Ohne die Unterstützung der Bergführer hätte ich das niemals geschafft. Das werde ich mein ganzes Leben lang nicht vergessen“, wird Markus nach der Rückkehr sagen.
Das im fordernden Aufstieg der Konzentration gewichene Lächeln kehrt bei allen zurück, als die letzten vom Gipfel abgestiegen sind. Mit der wärmenden Sonne im Gesicht sitzen wir essend und trinkend im Silbersattel. „Ihr habt das alle super gemacht. Aber den Berg haben wir erst erfolgreich bestiegen, wenn wir wieder gesund unten sind“, mahnt Andreas und gibt Instruktionen für die bevorstehende Abfahrt über den Gletscher. Tief unten, genauer gesagt 3000 Höhenmeter, sehen wir – klein wie Streichholzschachteln – die Häuser Zermatts. Auf dem vom Wind hart gepressten Schnee schüttelt es uns bei jedem Schwung die Oberschenkel durch. Nach einem kurzen Zwischenstopp auf der Monte Rosa Hütte lassen wir die Ski bis in das Skigebiet von Zermatt laufen. Noch einige Male schweift der Blick über die nach dem Gipfelerfolg breiter gewordenen Schultern zurück auf die Dufourspitze. „Meinen Eltern und Freunden habe ich zu Hause einiges zu erzählen. So etwas erlebt man nicht jeden Tag“, sagt der sichtlich stolze Ingolstädter Markus Maiwald auf dem Gornergletscher stehend.
Unseren außergewöhnlichen Ausflug schließt der Rückmarsch in Formation durch das mondäne Dorfzentrum Zermatts ab. Von staunenden und fotografierenden Touristen ernten wir ungläubige Blicke. 17 Reichenhaller Jager mit erfolgreicher Besteigung der Dufourspitze im Rucksack gibt es in Zermatt nicht jeden Tag.
Text:/Fotos: Johannes Schmid