Mit Pixel-Tarndruck und enormen Drehmomenten durch die Hitzeschlacht

„Dresden, hoch drei“ hieß das semantische Trio, das mitten im Hitzemonat August den Charme der Elbmetropole beherrschte: Dresdner Stadtfest. Dresdner Nachtlauf. Dresdner Sieg! Für spätabendlichen Leichtathletik-Flair mit reichlich Heimatjubel sorgte vor allem der laufaffine Berliner Charité-Sportarzt Paul Schmidt, zudem waschechter Sohn der sächsischen Landeshauptstadt, der die knapp 14 Kilometer lange Hitzeschlacht entlang der Elbmetropole in unangefochtenen 43:53 Minuten dominierte.
Dresden war für Paul Schmidt allerdings nur eine ausdauersportliche Durchgangsadresse für weitaus höhere Ziele. Für die rangiert ein wahrer Dresdner Wunderläufer dann auch als ultimatives Vorbild: Rudolf Harbig, der 800-Meter-Weltrekordhalter von 1939. So will der leichtfüßige und tempoharte Mediziner beim Berlin-Marathon auch schnellster Berliner Finisher werden und anschließend seine Promotion zum Doktor der Medizin finalisieren. Danach jedoch liebäugelt der noch designierte Doktor der Medizin mit dem Gedanken, sich im neu initiierten Gesundheitsmanagement des Deutschen Heeres als sportfachlicher Rat- und Impulsgeber zu engagieren. Landeshauptstadt Dresden/Freistaat Sachsen. Drei Mal Dresden in einem Satz, das geht textlich eigentlich gar nicht, so jedenfalls könnte man redaktionell meinen. Doch es musste sein: Vor allem, weil die sportjournalistische Chronistenpflicht dazu mahnte! Beim Dresdner Nachtlauf, der Mitte August das Dresdner Stadtfest hautnah in pure Leichtathletik-Atmosphäre tauchte, siegte der aufstrebende Dresdner Langstreckenläufer Paul Schmidt. „Dresden, hoch drei“, das war eine wahre Hitzeschlacht! „36 Grad und es wird noch heißer“, klingt der Ohrwurm jener ostdeutschen Kultband, die dazu ungewollt die lautmalische Orchestrierung zum diesjährigen Dresdener Nachtlaufspektakel bot.

Zwei Mal Blaues Wunder erlebt

Und so ging es für die gut 3.000 Lauf-Enthusiasten um punkt 20 Uhr auf den vor Hitze flirrenden Parcours. Mit Asphalt, weich wie Vortagshonigbrötchen, war die Piste gewiss kein Zuckerschlecken. Besonders auf den Anfangs- und Endpassagen, wo ausgedehnte Abschnitte altehrwürdigen Kopfsteinpflasters lauerten. Analoges bot sich auch am symbolhaft herausragenden Wendepunkt, dem „Blauen Wunder“. Die dem aufstrebenden Industriezeitalter entstammende Stahlbogenbrücken-Konstruktion, in etwa Halbdistanz und zugleich ein echter Eyecatcher, der das pittoreske Elbflorenz mit den beiden Sachsenperlen Pillnitz und Pirna verbindet, wartete auf der Rückpassage ebenfalls höchst holprig auf.

Gestartet wurde übrigens vis-à-vis des zum Flanieren einladenden Dresdner Altmarkts wie aus dem Jagdgewehr geschossen. So glich die Startbox einer langen Röhre. Was gewiss die organisationstaktisch richtige Entscheidung war, denn der Großteil der Rennstrecke verlief über die sich elbseitig entlang schlängelnden Radwege.

Dresdener Paul Schmidt: Laufkönig der Leichtigkeit

Für die Spitzengruppe ohnehin kein Problem: Die preschte antrittsstark aus der Pole Position vor, um sich bei Kilometer eins schon deutlich abzusetzen. Von Anfang an hieß die Paarung dann auch Paul Schmidt (TSV Dresden) und Marc Schulze (City-Laufverein Dresden). Bis zum Wendepunkt, wo Marc dann sprichwörtlich sein „Blaues Wunder“ erlebte. Wer wissen wollte, wie schnelles Laufen in der Vorentscheidungsphase geht, der hatte hier sein visuelles Vergnügen, denn auf dem Scheitelpunkt des blauen Technikwunders bot Paul Schmidt hier neben der Eleganz des Mittelfußläufers auch noch ein Paradebeispiel für mentale Stärke. Leichtfüßig und mit emphatischem Lächler auf den Lippen, setzte sich Paul, der waschechte 29-jährige Dresdner Junge, dort unwiderstehlich ab. Im Ziel erstrahlte Paul Schmidt dann prachtvoll im Lichterglanz. Geschickt hatten die Eventmacher die Finisher-Gasse exakt über der elektronischen Zielmessung betont effektreich illuminiert. Wegen der Hitze sei das Rennen ein Tempo-Balanceakt mit „enormen Drehmomenten“ gewesen, so Paul Schmidt, der in der Berliner Charité als Sportmediziner arbeitet, nach dem exakt 13,8 Kilometer langen Rennen zu Bundeswehr Sportmagazin. Eine wahrhaft kochende meteorologische Sommersuppe, die habe sich da zusammengebraut, und die sei eine große Herausforderung für den Körper gewesen, so Paul Schmidt. So sei man auch lieber etwas langsamer als zu schnell angegangen, so die zwei Schnellsten, die sich beide bis Kilometer sechs zunächst mit gemeinsamer Tempogestaltung taktisch von möglichen Verfolgern absetzen wollten. Zur Hitze habe sich böiger Gegenwind gesellt, der ebenso ein kräftezehrender Gegner gewesen sei, so Marc Schulze und Paul Schmidt dann unisono laufkameradschaftlich im Ziel vereint.

Hunderte frenetische Paul-Rufe sorgten für Gänsehautatmosphäre

„Alle haben meinen Namen gerufen“, freute sich Paul Schmidt über die phantastische Stimmung, durch die er – wie beim Berliner BIG25 – mit satten Endorphinen und knapp über drei Minuten Tempi auf den letzten drei Kilometern in die Siegerschärpe stürmte. Bei der sechsten Auflage des diesmal überaus schweißtreibenden Laufspektakels schufteten sich über 3.000 Läufer ins Ziel – zum heimischen wie touristischen Publikumsmagneten, dem Dresdner Altmarkt. Für Paul Schmidt war die Läuferschlacht im Elbflorenzer Hitzekessel allerdings nur eine trainingsspezifische Durchgangsadresse und ein gewollter Härtetest, den er mitten aus seinem Berlin-Marathontraining heraus abspulte.
Beim Hauptstadt-Weltrekordklassiker plant Paul Schmidt seine nächste ideelle Schallmauer zu durchstoßen: Nämlich auf der superflachen Berliner Königsstrecke über 42,195 Kilometer als schnellster Berliner über die Zielelektronik zu flitzen. Den richtigen Kampfgeist für die persönliche Marathon-Bestzeit ließ Schmidt in Dresden dann auch schon mal rein optisch erkennen. Dort lief Schmidt nämlich in modernstem Pixeltarndruck ins Ziel. Dass seine hochgesteckten Ambitionen dabei überaus realistisch sind, zeigt sein diesjähriges Leistungs- und Gesundheitsbild nur zu deutlich. Die Deutschen 10.000 Meter-Bahn-Meisterschaften lief Schmidt mit persönlicher Bestzeit in 29:58 Minuten, die Uhr seiner Halbmarathon-Bestzeit ließ er auf 64:58 Minuten stoppen und schließlich folgte sein grandioser Sieg beim 13. Rostock-Marathon Anfang August, wo er mit 2:19:35 Stunden erstmals bravourös und im Alleingang unter die nur wenigen vergönnte 2:20 Stunden-Marke tauchte.

Schicksalhaftes Vorbild. Der deutsche 800 Meter Wunderläufer Rudolf Harbig

Als sein sportliches Vorbild betrachtet Paul Schmidt den deutschen 800-Meter Wunderläufer Rudolf Harbig – ebenfalls gebürtiger Dresdner, der seit den 50. Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften von 1950 Namensgeber für die höchste Auszeichnung des Deutschen Leichtathletik-Verbands (DLV) ist. So gilt der „Rudolf-Harbig-Gedächtnispreis“ des DLV als Synonym für erstklassige Erfolge und vorbildliche leichtathletische Haltung. Für den talentierten Ausdauerathleten Paul Schmidt offensichtlich ein immer wieder Motivationsschübe auslösendes inneres Rüstzeug, wie Episoden aus der sehr kurzen Karriere des Dresdner Superläufers verraten. Rudolf Harbig avancierte spätestens am 15. Juli 1939 zum ewigen deutsches Laufhelden, als er in der Mailänder Arena Civica mit 1:46,6 Minuten zum 800-Meter-Fabelweltrekord spurtete, der erst 16 Jahre später gebrochen werden sollte. Harbigs famoses Rennen war so unglaublich schnell, dass die Nachrichtenagenturen die Sondermeldung sicherheitshalber in Buchstaben – „Eins-sechs-und-vierzig-sechs“ – veröffentlichten.
Doch das ist nicht der einzige Grund, warum Paul Schmidt das ultimative Dresdener 800 Meter-Ass seiner Zeit so bewundert. Auch Harbigs Trainingsmethoden, die auch heute noch als unorthodox gelten dürften, scheinen es Paul Schmidt angetan zu haben: Wohl auch, weil sich der Spitzenathlet der 1930-iger Jahre bei seinen Trainingseinheiten von recht individualistisch anmutenden, sehr intuitiven Tempospritzen treiben ließ. So habe sich Rudolf Harbig zu spontanen Tempoantritten gegen die Dresdner Straßenbahn hinreißen lassen, was offensichtlich seiner Sprintschnelligkeit und beeindruckenden Schnelligkeitsausdauer überaus zuträglich war. Schließlich sprintete Harbig – der auch im Ausland wegen seines bereits im Sommer 1939 aufgestellten Weltrekords über 400 Meter in 46,0 Sekunden als Wunderläufer gefeiert wurde – die 100 Meter in 10,6 Sekunden. Was auch Paul Schmidt bei seinen vielen Intervallläufen durch die Elbmetropole immer wieder zur Nachahmung motiviert hat, wie er gerührt erzählt.

Laufheld, Elitefallschirmjäger, Soldatentod

Sehr betrübt habe ihn allerdings Rudolf Harbigs späteres Schicksal. Zu Beginn der 1940-iger Jahre in Gefechten an der Italien- und der Russlandfront am linken Schienbein und am linken Oberschenkel infolge von Infanteriequerschlägern und Pak-Splittern mehrfach verwundet, bemühte sich der deutsche Ausnahmeathlet innerhalb seiner Lazarettaufenthalte und Genesungsurlaube immer wieder darum, sein Lauftraining beizubehalten. Im März 1944 fiel der Oberfeldwebel und postum mit dem Deutschen Kreuz in Gold hochdekorierte Elitesoldat der noch jungen deutschen Fallschirmjägertruppe bei Abwehrkämpfen gegen übermächtige Sowjettruppen an der russisch-ukrainischen Südfront.

Unvergessener Rudolf Harbig: Vom DDR-Regime verfemt

Und das, weil sich das unbeugsame Mittelstrecken-Ass nach einer auskurierten Verwundung erneut freiwillig an die Ostfront zurück gemeldet hatte, denn Harbig wollte „seine Pflicht im Kampf für Deutschland erfüllen“. Rudolf Harbig, 2007 als Unvergessener und einer der ersten von 14 Leichtathleten in die „Hall of Fame“ des deutschen Sports aufgenommen, war unter der sozialitischen SED/DDR-Diktatur der 1970-iger Jahre plötzlich ein Verfemter. Ausgerechnet in seiner Heimatstadt, wo der Weltklasseathlet auf der im Krieg schwer zerstörte Ilgen-Kampfbahn 1941 den Weltrekord über 1.000 Meter in 2:21,5 Minuten aufgestellt hatte. Im September 1951 restauriert und zunächst als Rudolf-Harbig-Stadion eingeweiht, ließ die sowjethörige SED-Nomenklatura 20 Jahre später den Namen Rudolf-Harbig-Stadion auslöschen und in Dynamo-Stadion umbenennen.
Weil Rudolf Harbig als Soldat gegen die stalinistische Sowjetunion gekämpft hatte, so die parteiinoffizielle Begründung, denn die Sowjets sollen nach Quellenlage nicht auf ein Wegpolieren des Namens gedrängt haben. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs wurde die Ehre des Dresdner Wunderläufers 1990 rasch wieder hergestellt – das einstige Ilgen-Sportoval wieder als Rudolf-Harbig-Stadion umbenannt. Von Harbigs Kriegsschicksal zeigt sich Paul Schmidt betroffen. Ihn betrübe die Tatsache, dass ein solches Vorbild voller leistungssportlicher Werte, ein so großer „Spezialist“, dessen Potential letztlich nicht voll ausgereizt wurde – wie so viele deutsche Spitzenleichtathleten, darunter der Olympiasilberweitspringer Luz Long – letztlich dem vom NS-Regime entfachten Weltkrieg zum Opfer gefallen ist.

Nikotinsüchtig, zu dick, zu passiv

Ein echtes Multitalent ist Paul Schmidt zudem, denn der junge Sportarzt, dem es die Sportwissenschaft an der weltweit renommierten Universitätsklinik Charité – genauer gesagt das Centrum für Sportwissenschaft und Sportmedizin in Berlin – angetan hat, sorgt sich im transdisziplinär aufgestellten sportmedizinischen Kompetenzzentrum um Profisportler, Nachwuchskaderathleten und gesundheitsbewusste Freizeitsportler. Natürlich sind dem engagierten Mediziner die Gesundheitsprobleme in der Truppe, wo viele Berufssoldaten – vom Spieß bis zum Stabsoffizier und General – buchstäblich verfettet sind, und dem Nachwuchs in Truppe damit keinerlei Vorbild für ein professionell-militärisches Image liefern, beruflich nicht verborgen geblieben. Die Kombination aus Bewegungsmangel, Alkoholmissbrauch, Nikotinsucht und Fehlernährung führe in eine lebensgefährliche Spirale, so medizinisch valide Studien. Für den Sportmediziner ist die körperliche Inaktivität in Kombination mit Fettleibigkeit, die man im Sanitätsdienst medizinisch elegant als Adipositas zu kaschieren versucht, ohnehin ein fundamentales gesamtgesellschaftliches Problem: „Es ist so schwer, inaktive Leute zu motivieren. Ein passiver Lebensstil macht abhängig“, sagt Paul Schmidt dem Bundeswehr Sportmagazin.

Dem „Sedentary Lifestyle“ den Kampf ansagen

So würden viele erst in der Herzinfarkt-Rehabilitation zum Sport finden, nachdem sie zuvor Jahre lang dem Sedentary Lifestyle – zu Deutsch: bewegungsferner Lebensstil – gefrönt hätten. Und deshalb predigt der Mediziner auch unablässig, dass der menschliche Körper für Ausdauersport gemacht sei. „Wir waren schon immer Jäger und Sammler, nicht sitzende Menschen“, so Paul Schmidt zu Sportjournalist Volker Schubert. Mit klar sortierten Argumenten: Denn 80 Prozent der Muskeln werden beim Laufen trainiert. Das Tempo sei dabei relativ nebensächlich, denn wer um die zehn Stundenkilometer laufe, fördere sein gesundheitliches Wohlergehen deutlich. „Hauptsache, man macht etwas“, so der schnell und ausdauernd laufende Sportwissenschaftler, denn dann müsse es gar nicht erst zum Herzinfarkt, Schlaganfall oder gar frühem Tod kommen. Einen weiteren Grund, warum sich Paul Schmidt in der Zukunft vorstellen könnte, sich programmatisch ins Gesundheitsmanagement der Bundeswehr einbringen, ist für ihn im Wertekanon der Streitkräfte angesiedelt. Loyalität und Selbstdisziplin, Kontinuität und Zuverlässigkeit aber auch Proaktivität seien auch im Leistungssport universelle Tugenden und Eigenschaften, die in der marktwirtschaftlich ausgerichteten Massengesellschaft leider oft zu kurz kämen.

Text und Fotos: Volker Schubert

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