Militärleichtathlet Karl Bebendorf: Dresdens „Roter Blitz“ stürmt in Europas Hindernisspitze

Im postheroischen Zeitalter gehört der Sportsoldat Karl Bebendorf zu den aufstrebenden Lichtgestalten innerhalb der laufstarken deutschen Leichtathletik-Szene: Für das ursächsische 3.000 Meter Hindernis-Ass, den Spitzenläufer des traditionsbewussten Dresdner Sportclubs 1898 (DSC), der für seinen Heimatverein stets im stylischen „blitzroten“ Renneinteiler mit der markanten Eisernen-Kreuz-Symbolik auf der Herzseite startet, endete das Leichtathletik-Jahr 2022 mit einer Erfolgsbilanz, die sich national wie international sehen lassen kann. Inmitten des herbstlichen Saisonausklangs schaut der aufstrebende Militärleichtathlet der einzigen sächsischen Bundeswehr-Sportfördergruppe in Frankenberg/Chemnitz in ein facettenreiches Kaleidoskop topsportlicher Ereignisse zurück, das eine Vielzahl sportlicher Höhepunkte, aber auch echte Schock-Momente barg. Unter den Hallendächern der `89er Heldenstadt Leipzig mit dem deutschen 800 Meter Vizemeistertitel in das so spannungsgeladene WM- und EM-Jahr startend, überzeugte der ebenso schneidige wie kerngesunde Ostdeutsche auch in der Freiluftsaison mit persönlichen Bestleistungen und Topplatzierungen.

Ende Juni in Berlins `36er Olympiaoval unbesiegbar: Bei den „122. Deutschen“ besiegte Dresdens „Roter Blitz“ Gegner wie Bruthitze.

Für reichlich Sachsenstolz sorgte dabei sein vierter Titel als nationaler 3.000 Meter Hindernis-Meister in Folge – ein taktisches Hitzerennen, das der gebürtige Dresdner im dramatischen Schlussspurt so bravourös wie siegreich gegen den Sportsoldaten und als hohen Favoriten gehandelten Frederick Ruppert (Sport Club Myhl) bestritt; immerhin war Ruppert‘s Titel-Mission berechtigt, denn mit einer kurz vor den „Deutschen“ aufgestellten Bestzeit in fabelhaften 8:15,58 Minuten, rangierte der Westdeutsche in Europas Bestenliste plötzlich auf Rang vier. Bei den Weltmeisterschaften im US-amerikanischen Eugene gelang es dem Elbestädter Hinderniskönig Mitte Juli – durch den Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) für die WM nachnominiert -, auch ohne Finaleinzug die internationale Topequipe zu spalten und dabei reichlich Rennerfahrung innerhalb der Crème de la Crème der globalen Hinderniskonkurrenz zu sammeln.

München im August 2022: Mit WM-gestählter Courage und keiner Angst vor großen Namen, zog der Dresdner  Sportsmann schließlich ins Münchener Olympiastadion ein, um eine EM-Medaille oder – so sein Minimalziel – eine europäische Top-Fünf-Platzierung zu erstreiten. Und so brillierte der Dresdener Sportsoldat Karl Bebendorf bei den unter Nicht-Fußballern heiß herbeigesehnten European Championships 2022 als einer jener sächsischen Protagonisten, die Mitte August ganz zentral über die Bildschirme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks flimmern sollten. Ohnehin bot die olympische Kernsportart Leichtathletik anlässlich der zweiten Auflage der innovativen European Championships inmitten der facettenreichen Neun-Sportarten-Mixtur – darunter Rudern, Triathlon und Radsport – schon allein durch die dutzendfache Disziplinpräsenz im legendären 1972-iger Münchener Olympiastadion den zentralen Blickfang innerhalb sämtlicher Fernsehübertragungen.

Vor den Kameraaugen stieg der Dresdener Ausnahmeathlet bereits im Vorlauf zu echter Topform auf: meisterte sämtliche Hindernisse ebenso konzentriert wie elegant und rollte auf der letzten Runde mit dem Elan eines Sturmläufers nahezu das gesamte Konkurrenzfeld auf, um auf der Ziellinie mit Rang zwei zu finishen und ergatterte sich damit den heißersehnten Einzug ins Finale. Furchtlosen Mut zeigte der rank wie schlanke Hinderniskämpfer dann auch in dem so turbulent wie unruhig verlaufenden Finalrennen, wo Karl Bebendorf in hartem Ringen EM-Rang fünf erzielte. Eine Platzierung, die möglicherweise bald zum Aufrücken auf EM-Platz vier führen könnte, denn der italienische EM-Vize, Ahmed Abdelwahed, wurde zwischenzeitlich positiv auf die verbotene Substanz Meldonium getestet.

Nach dem Hattrick das Quartett: Im Berliner Olympiastadion stürmte Militärleichtathlet Karl Bebendorf von der Sportfördergruppe der Bundeswehr in Frankenberg/Chemnitz zum vierten Mal in Folge zum Deutschen Meistertitel. Verdienter Vize wurde Sportsoldat Frederick Ruppert.

Während der Sommersaison traf der Berliner Sportjournalist und Korrespondent Olympischer Spitzensport, Volker Schubert, Dresdens roten Blitz an mehreren hochkarätigen Wettkampfstätten und interviewte den heimatverbundenen Athleten aus der Rudolf-Harbig-Wunderläufer-Stadt im Juni bei den Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften im Berliner Olympiastadion und im September anlässlich der Nike Track Night – seinem letzten Bahnwettkampf im Stadion Lichterfelde am Berliner Ostpreußendamm – exklusiv für Bundeswehr Sport-Magazin.

Sommer-Interview: Deutsche LA-Meisterschaften, Olympiastadion Berlin

BwSportMag: Karl, der rote Blitz des traditionsreichen Dresdner Sportclubs hat bei den ‚Deutschen‘ im Berliner Olympiastadion wieder machtvoll zugeschlagen; das Quartett ist voll – Dein vierter Ehrentitel als ‚Deutscher 3.000 Meter Hindernis Meister‘ in Folge! Wie fühlt sich das in Bezug auf Deinen mutigen Rennverlauf und Deinen erneuten Meisterschaftssieg heute an?

Der frisch gebackene Deutsche Meister im 3.000 Meter Hindernislauf Karl Bebendorf im Exklusiv-Interview mit dem Korrespondenten Olympischer Spitzensport Volker Schubert für Bundeswehr Sport-Magazin.

Bebendorf: Ja, Du sagt es, der rote Dresdner Blitz hat wieder zugeschlagen! Ich bin natürlich sehr erleichtert und gleichzeitig unglaublich froh über meinen vierten Titelgewinn, weil ich im Vorfeld zu den Deutschen mit viel Kritik und Gegenwind zu kämpfen hatte und es ebenso viele Zweifler gab, die mir einreden wollten, dass die Titelverteidigung gegen Frederick Ruppert verdammt schwer, wenn nicht sogar unmöglich werden würde. Doch das wusste ich alles selbst! Ich habe mich deshalb auch die letzten Wochen und Tage hochintensiv mit der Thematik Titelverteidigung auseinandergesetzt und auch mit der Qualifizierungsnorm für die WM in Eugene, die 8.22 Minuten noch zu packen. Dass sich der Rennverlauf dann aber so einseitig abspielen würde, das konnte ich weder planen noch ahnen.

Und das war schon sehr bitter. Es blieb mir dann nur noch eine Option übrig, nämlich um den Sieg zu laufen und so habe ich im Engeffekt alles gewonnen, was aus dem Rennen hier herauszuholen war. Und das in einer Zeit, die jetzt auch überhaupt nicht schlecht ist. Ich weiß die Zeit jetzt noch nicht ganz genau, aber meine Siegerzeit war mindestens genau so gut wie die, die ich in meinen beiden Hindernis-Rennen zuvor erzielen konnte. Das befriedigt mich zwar vom Gefühl her zwar nicht absolut, aber das Wissen, dass ich meine Rennen hier in Berlin fast im Alleingang durchgezogen habe, das macht mich dann doch sehr glücklich.

BwSportMag: War das dann auch deine Renntaktik, die Du von Anfang an verfolgtest oder gab es zuvor wegen der EM- und der WM-Qualifikationszeiten Tempoabsprachen im Feld?  

Bebendorf: Einige wenige meiner Konkurrenten, die die Absicht verfolgten, Richtung EM-Norm zu schielen – die liegt bei 8:30 Minuten nicht so weit entfernt von der WM-Norm 8:22 Minuten, was von der Zeit her nicht außerhalb deren Reichweite gewesen wäre -, wollten sich zunächst abwechselnd Tempo machen und sich zum Ende hin bei mir reinhängen. So war jedenfalls unsere erste Absprache. Doch dann kam alles anders: der eine war von der Form her doch nicht so gut drauf und andere fühlten sich wegen der enormen Hitze im Stadion dann doch sehr stark beeinträchtigt und entsprechend ging meine Laune in den Keller.

BwSportMag: Deine Entscheidung, konsequent das Heft des Handelns zu übernehmen schien sich dann in den ersten zwei Runden klar herauszukristallisieren, denn von außen betrachtet wirktest du schon rein optisch als der von Rennbeginn an Dominierende, liege ich mit meiner Beobachtung da richtig?  

Bebendorf: Auf jeden Fall, mir blieb letztlich aber auch nichts anders übrig. Ich hatte mich so akribisch auf die ‚Deutschen‘ vorbereitet und sah mich nun gezwungen, die Renngestaltung alleine abzuspulen. Das war dann wirklich auch nicht einfach, doch ich wollte dennoch das Beste draus machen. Mir kam zwischenzeitlich mein Wassergrabensturz in der fünften Runde während der Team-EM im polnischen Chorzow in den Sinn, wo ich bei einem 3.000 Meter Hindernisrennen zuvor die ganze Zeit in Führung lag und sich der Rennverlauf entsprechend monoton gestaltete, weil die Konzentration nachließ. Doch genau in dieser Phase, die sich in Berlin um den Kilometer zwei ähnlich anbahnte, war ‚Freddy‘ [Anmerkung des Autors: Frederick Ruppert] so kameradschaftlich und übernahm dann kurzzeitig auch die Führung.

Das hat mir dann schon ein bisschen geholfen. Hier gab es zuvor auch schon eine gewisse Absprache, dass mich Freddy pusht, sollten wir beide Richtung 8:22 Minuten laufen. Aber als wir beide den Verfolgern nach einer Runde schon so weit enteilt waren und zwischen uns beiden und der Konkurrenz eine riesige Lücke klaffte, was wir beide nicht ahnen konnten, bin ich am Ende Freddy auch unheimlich dankbar, dass er mitgeholfen hat das Rennen letztlich zu retten. Es fiel ihm – und das war ja klar ersichtlich – auch nicht gerade leicht unser Duell durchzustehen, aber natürlich bin ich am Ende heilfroh, dass ich die stärkeren Beine hatte. Nach meinem Trainingslager hätte das Rennen eigentlich auch so verlaufen müssen: und das genau konnte ich nun zu Glück auch voll umsetzen.

BwSportMag: Inwieweit hat Dir die Atmosphäre hier im Berliner Edeloval geholfen, Dich ins Ziel zu tragen – das Stadion mit Olympia`36, dem traditionsreichen ISTAF, der Leichtathletik-WM und der EM von 2009 wie 2018 ja nicht irgendeine x-beliebige Arena?

Bebendorf: Wettkämpfe im Berliner Olympiastadion sind für mich immer wieder total beeindruckend. Auch, wenn diesmal nicht so viele Zuschauer da waren, wie bei meinem ersten Meistertitel 2019 – und da war wirklich noch um einiges mehr an Stimmung los. Das war diesmal nicht so, aber ich habe doch gespürt, dass das Publikum mitgeht. Und das war nach diesen zwei Jahren Corona-Geisterbahn nun wirklich wie ein stimmungsvolles Erwachen. Ich habe viele Leute zwar ‚Freddy‘ jubeln gehört, aber das war mir in dieser Situation ziemlich egal und es hat trotzdem Mega-Spaß gemacht.

BwSportMag: Wenige Wochen vor den Deutschen in Berlin legte Dein unmittelbarster Konkurrent Frederick Ruppert bei einem Hindernis-Rennen in Skandinavien mit der Superzeit von 8:15 Minuten eine echte Hausmarke hin; ein Ergebnis mit einem Stellenwert, der natürlich über Europa hinaus glänzte. Wie sehr hat Dich diese Nachricht innerlich und hinsichtlich Deiner Titelambitionen beeinflusst und ganz konkret nachgefragt: wie bist Du damit im Training umgegangen, was Deine Motivation aber auch Deinen technischen Feinschliff und Deine Tempoarbeit betraf? 

„Wir Deutschen können im Hindernislauf international auch was reißen“

Bebendorf: Im ersten Moment der Nachricht habe ich mich gefühlt, als gäbe es mich spitzensportlich nicht – irgendwie so, als wäre ich nie dagewesen! Ich will zwar nicht sagen, dass ich mich wie ein Verlierer gefühlt habe, aber in dem Moment war ich dann schon gefühlt weit weg von der Bildfläche. Die Nachricht hat mir schon ganz schön weh getan, das muss ich ehrlich eingestehen! Ich ziehe absolut meinen Hut vor Freddy‘s Leistung! Ich hätte damit nie gerechnet, weil ich Freddy in den ersten Laufmonaten quasi begleitet hatte. Das war in Südafrika, nachdem er im Winter zuvor gerade verletzungsbedingt ausgefallen war. Und dann in wenigen Monaten so einen Leistungszuwachs herauszuholen, da blieb mir schon fast er Atem weg.

Die darauffolgenden Nächte konnte ich erst einmal nicht richtig schlafen, aber die Tage danach war ich dann regelrecht gegenteilig gut drauf und habe Freddy‘s Rennergebnis eher als sportliche Chance und Herausforderung und als weitere Motivation angenommen. Unter dem Aspekt, dass jetzt in Deutschland ein Sportkamerad da ist, mit dem ich mich pushen kann. Einer, mit dem ich zusammen auf der internationalen Ebene auch mal richtig was zeigen kann unter dem Motto: wir Deutschen können im Hindernislauf international auch was reißen. Und das war dann der Punkt, wo ich dem ersten Schock und diese Negativimpulse dann in viele positive Gedanken umwandeln konnte. Im Nachhinein glaube ich, dass ich dadurch dann auch stärker geworden bin!          

BwSportMag: Fredericks Spitzenzeit besorgte bei Dir im Endeffekt so etwas wie ein echtes inneres Umlenken, eine mentale Umformung, die Du beim Kampf um den Titel nun sehr überzeugend in deutsches Gold ummünzen konntest. Wie ich Dich aufgrund der vielen Rennen, die ich von dir gesehen habe, so einschätze, bist Du ein kampf- und willensstarker, aber auch ein technisch sehr versierter Athlet, der dabei das berühmte Ende der Fahnenstange noch lange nicht vor Augen erblickt. Die Saisonvorbereitung hast Du über einen intensiven Mix aus 800 Meter sowie 1.500 Meter Rennen bestritten – war das in Deiner Nachbetrachtung die richtige Marschrichtung, um sich erneut den Deutschen Meistertitel an Revers heften zu können?       

Bebendorf: Ja, das war schon eine gute Fahrrichtung, die ich da eingeschlagen habe. Es ging dabei sicherlich auch darum, die ganzen Zweifler eines Besseren zu belehren und deren Schwarzseherei zu entkräften. Meine Botschaft sollte vor diesem Hintergrund ganz klar lauten: auch wenn ich jetzt noch keine 8:15 Minuten über die 3.000 Meter Hindernisse gelaufen bin, ist trotzdem mit mir zu rechnen! Und das habe ich heute in Berlin mit dem vierten Deutschen Titelgewinn nur zu deutlich unterstrichen!   

BwSportMag: Karl, die letzte Frage zielt natürlich auf Deinen Fokus Richtung Sommer-EM 2022 in München ab. Einigen Unkenrufen zufolge liebäugeln so manche DLV-Athleten eher mit der Heim-EM in Bayern als mit der Leichtathletik-WM im US-amerikanischen Eugene, wie sieht das bei Dir und einer möglichen Nachnominierung für Eugene aus?  

Bebendorf: Die WM in Eugene ist für mich abgehakt. Die 8:22 Minuten Norm konnte ich nicht erzielen und auch über Punkte läuft da nichts mehr. Volle Konzentration auf das 3.000 Meter Hindernis-Finale München also!  

Herbst-Interview Nike Track Night: Stadion Lichterfelde Berlin Ostpreußendamm

BwSportMag, Karl, 14:09 Minuten, Deine neue Bestzeit über die 5.000 Meter bei der Nike Track Night, zumal im Schlepptau des norwegischen Wunderläufers Jakob Ingebrigtsen, lässt mich noch einmal auf Deine Saison mit der WM und der EM schauen, die ja so viele persönliche Höhenflüge für Dich bereithielt. Dein Vorlauf bei den Europameisterschaften im Münchener Olympiastadion gestaltete sich am Ende als knallharter Parforceritt, Dein in der letzten Runde fulminant eingeleiteter und sehr lange durchgezogener Endspurt entpuppte sich für Deine Konkurrenten als unwiderstehliche Attacke. Mit welcher Motivation bist du in das Rennen gegangen und wie ist es Dir gelungen, die entscheidenden Körner für Deinen Finaleinzug zu aktivieren?  

DM, WM, EM und spitzensportliches Finish nach einer Mega-Saison. Während der Nike Track Night im Stadion Lichterfelde am Berliner Ostpreußendamm interviewte der Berliner Sportjournalist Volker Schubert den sächsischen Vorzeigathleten zum Saisonabschluss exklusiv für Bundeswehr Sport-Magazin.

Bebendorf: Bei der EM habe ich schon vom Startschuss an in den Kampfmodus geschaltet. Dass sich der EM-Vorlauf am Ende so temporeich abspielte, das hatte ich aber wirklich nicht im Kopf. Drei Runden vor Schluss spürte ich schon, dass das Rennen verdammt hart ist. Und dennoch, in diesem Moment konnte ich den entscheidenden Impuls im Kopf auslösen: Du läufst hier vor heimischer Kulisse! Da kannst Du Dich einfach nicht gehen lassen! Dann dachte ich in diesem entscheidenden Moment an die Deutschen Meisterschaften zurück: die letzte Runde, das ist genau mein Ding, also Zugriff! Und auf einmal lief es wie im Film! Dabei kam der mentale Push hinzu und dann marschiert man einfach mal am Feld vorbei!

BwSportMag: In der vorletzten Kurve vor der Gegengerade, war der Münchener Bebendorf-Jubel ja unbeschreiblich. Hat Dich der Beifall noch erreicht und noch zusätzlich ins Ziel tragen können?

Bebendorf: Nach der WM im Eugene, wo die Fans typisch amerikanisch rüberkamen, stach das Münchener Publikum wirklich heraus. Das war nach den letzten Jahren, wo in den Stadien ja absolute Funkstille war, schon wirklich mega-geil. Das war wirklich ein geiles Gefühl in diesem Moment über den letzten Wassergraben zu springen und zugeplärrt werden von der Seite, das ist schon eine Superkulisse! Aber dennoch, wenn Du im Rennen voll konzentriert abgehst, dann ist das heimische Publikum letztlich ganz hinten im Kopf abgespeichert und Du läufst wie im Tunnel Richtung Ziel.

BwSportMag: Bei unserem letzten Interview im Olympiastadion, sagtest Du, dass die WM im US-amerikanischen Eugene wegen der von Dir nicht erzielten Qualifikationszeit von 8:22 Minuten passé wäre. Nun hatte Dich der DLV für Eugene widererwartend nachnominiert. Unter Deinen europäischen Konkurrenten gelang lediglich vier Athleten der Einzug ins WM-Finale. Auf dem universitären Hayward Field konntest Du mit der globalen Topequipe über 3.000 Meter Hindernis an den Start gehen und im dritten Vorlauf Rang acht erzielen. Welche spitzensportliche Bedeutung hatte Deine Teilnahme am WM-Vorlauf und mit welcher Lernkurve bist Du aus dem Wettkampf gegangen, der sich ja sehr rasch als Hochgeschwindigkeitsrennen entpuppte?  

Bebendorf: Ja, der Vorlauf entwickelte sich rasch als extrem schnelles Rennen. Die Nachnominierung durch den DLV habe ich natürlich als große Chance begriffen, mich in einem internationalen Rennen entsprechend meiner Form mit einer Topleistung zu präsentieren. Zwischen den Deutschen und der WM habe ich dann in Dresden noch eine entsprechende Trainingsphase eingelegt. Denn bei einem so hochkarätigen Rennen zu laufen, das ist um ein Vielfaches schwerer, als wenn man nur einem Pacemaker hinterherläuft. Der Rennverlauf war absolut hart, aber ich konnte meine Form umsetzten und beweisen, dass ab dem Zeitpunkt, wo es total hart und schwierig wird, wo die Schwäche an einem zerrt, ich mich mental überwinden und mitlaufen konnte. Dieser entscheidende Punkt setzte auf dem letzten Kilometer an. Ab da konnte ich mich innerlich bis zu den letzten 400 Metern pushen. Als die Spitze eingangs der letzten Runde dann nochmals stark beschleunigte, musste ich wirklich Tribut zollen.

Im Nachhinein bin ich über meine Fortschritte aber sehr glücklich und mega-zufrieden! Natürlich bin ich als Außenseiter an den Start gegangen, aber im Endeffekt konnte ich das Feld halbieren. Ich konnte mir mit dem Resultat, den 21. Platz belegt zu haben, am Ende auch beweisen, dass ich international konkurrenzfähig bin. In Eugene habe ich es geschafft, mit der absoluten Spitze mitzulaufen! Und ich konnte dabei spüren, dass es für mich weiter vorangeht, dass ich langsam immer mehr an Routine und Erfahrung gewinne. Das war im Rückblick dann auch mein größter Erfolg, aus dem ich viel Selbstvertrauen ziehen konnte. Nach dem Rennen wusste ich, dass in den vier Wochen, die mir noch bis zur EM in München blieben, voll im Plan bin. Das war auch ein Gefühl, mit dem ich während des Trainings für die EM-Vorbereitung noch viel an Zuversicht tanken konnte.

BwSportMag: Karl, gib unseren Lesern doch mal einen Einblick in Deine Trainingsprozesse: anders als bei den läuferischen Flachstecken gefordert, benötigt der Hindernisläufer neben der Vielfalt an Ausdauer- und Schnelligkeitsläufen auch einen speziellen Athletik-Aufbau und komplexe koordinative Sprungkraftfähigkeiten, um in taktischen Rennverläufen die ständigen Rhythmuswechsel mitgehen zu können. Hinsichtlich der individuellen Feinsteuerung verlangt der Wettkampfaufbau nach ausgesprochen anspruchsvollen Trainingsprozessen. Im letzten Makrozyklus dürfte Dein erfolgreicher Heimtrainer Dietmar Jarosch wohl definitiv an den Stellschrauben gedreht haben, welche waren das?    

Mehr V2-max-Läufe, härtere Tempoeinheiten: Neues Trainingskonzept des Dresdener Coachs Dietmar Jarosch schlug zu den Saisonhöhepunkten optimal an, so Karl Bebendorf zu BwSportMag.

Bebendorf: Absolut! Das stimmt! Für 2022 haben wir den Trainingsplan komplett umgestellt. Wir haben in den Trainingseinheiten verstärkt auf V2-max-Training gesetzt und haben damit die Grundlagen weiter anheben können – auch was den wöchentlichen Kilometerumfang angeht. Unser Trainingsmittel bestand dabei auch immer wieder aus Fahrtspielen. Das haben wir mit einer Kombination aus kurzen, knackigen und sehr intensiven Tempoläufen angereichert. Das hat sich vor allem hinsichtlich der Rhythmik des 3.000 Meter Hindernislaufs bemerkbar gemacht und ausgezahlt, wo es im Rennen immer wieder zu einem Wechsel der Geschwindigkeiten aber auch der Schrittfrequenzen kommt.

Der 3.000 Meter Hindernislauf verlangt von dem Athleten hier vor allem ein hohes Maß an Flexibilität. Ich glaube, mit dem neuen Trainingsplan konnten wir die im Rennen immer wieder geforderte Variabilität noch weiter ausbauen und verbessern. Den neuen Weg, den wir im Training beschritten haben, hat sich rückblickend aus gezahlt und als zu mir passend erwiesen. Ich bin als Läufer einfach der schnellere Typ. Und mit dem Ass in der Hinterhand, im entscheidenden Rennmoment sehr sprintstark zu sein, wäre ein zu stark in die Überdistanz gelagertes Training für mich auch nicht sinnvoll.                

BwSportMag: Nach dem Medaillen-Debakel bei der WM gab es seitens der Athleten viel Kritik am deutschen Spitzensport-Fördersystem. Allen voran die deutsche Top-Sprinterin Gina Lückenkemper, aber auch der Ex-Sportsoldat Robert Harting äußerten unüberhörbar, dass die Struktur des deutschen Elitesportsystems keine über Jahre hinweg gestaltete perspektivische Athleten-Förderung zulasse, sondern ein Belohn-System sei. Auch wenn die Kritik nach der glänzenden deutschen EM-Medaillenbilanz etwas abebbte, bleibt der kritische Nachhall weiterhin bestehen. Wie beurteilst Du als Sportsoldat Ginas Einlassungen?  

Spitzensportförderung in Deutschland. Für den Vorstoß in die Crème de la Crème der Leichtathletik-Weltspitze wünscht sich Karl Bebendorf mehr finanziellen Support.

Bebendorf: Die Bundeswehr ist quasi mein Arbeitgeber und hält mir für mein privates Leben den Rücken frei. Auf den Sport bezogen bedeutet das die soziale Sicherstellung der menschlichen Lebensgrundlage, denn der DLV zahlt mir in diesem Sinne ja kein Gehalt. Darüber hinaus ist allerdings der Verband dafür verantwortlich, mir Lehrgänge und Trainingslager zu ermöglichen. Im Kern sind das die leistungssportlichen Rahmenbedingungen, die der Entwicklung des reinen Sportlers dienen. Da würde ich mir an der einen oder anderen Stelle mehr Support wünschen. Das soll nicht als Beschwerde klingen, denn ich werde ja unterstützt. Aber das reicht eben nicht, um in der absoluten Weltspitze mitzulaufen.

BwSportMag: Wird der Spitzensportler damit nicht zum Direktor im eigenen Traumzirkus?               

Bebendorf: Das ist ja der Zwiespalt: und so muss ich einige Trainingslager und die Begleitung durch meinen Trainer auch selbst bezahlen. Geht es um die Beantragung weiterer Fördermittel, muss der Athlet oftmals einen absolut bürokratischen und komplizierten Parcours durchlaufen. Die beste Förderung bekomme ich eben nur, wenn ich unter der Top-acht der Welt rangiere. Erst wenn ich dort stehe, wirkt das Belohn-System. Doch das große Fragezeichen ist, wie komme ich dahin? Mit dem normalen Gehalt eines Sportlers ist die Erreichung dieses Zieles nahezu unmöglich. Das ist auch der Punkt, warum Du als Sportler neben der Förderung immer wieder um Deine Selbstvermarktung ringen musst. Ohne Sponsorengelder scheint es daher kaum möglich, Dir den Traum von der absoluten sportlichen Spitze in der Welt zu erfüllen. Öffentliches Rumheulen bringt uns Sportler aber auch nicht weiter. Du musst als Sportler heutzutage auch eben Macher sein und Dich selber kümmern.

Als Sportsoldat ist der Spitzenleichtathlet Karl Bebendorf auch Direktor im eigenen Traumzirkus: Ohne Eigenengagement, Selbstmarketing und Sponsorenverträge läuft trotz Bundeswehr-Sportförderung monetär zu wenig, um in die absolute Weltspitze vorzustoßen.

BwSportMag: Ich danke Dir für Deine offenen Worte. Für Deinen verdienten Aktivurlaub maximale Entspannung. Und für den bevorstehenden Lehrgang ‚Sportübungsleiter Bundeswehr‘ in Warendorf wünsche ich Dir viel Erfolg und Freude.

Bebendorf: Danke Dir auch. Warendorf wird auf jeden Fall eine interessante Einstiegsphase ins Training werden.

 

Spitzensport-Vita Karl Bebendorf (Dresdner Sportclub 1898) Sportfördergruppe der Bundeswehr Frankenberg

Zwischen Show und absoluter Wettkampfhärte: Für seinen spitzensportlichen Zielkorridor gibt Karl Bebendorf sprichwörtlich alles.

Persönliche Bestleitungen / Freiluftsaison

3.000 Meter Hindernislauf: 8:23.28 Minuten

2.000 Meter Hindernislauf: 5:25.64 Minuten

800 Meter: 1:47.30 Minuten

1500 Meter: 3:37.19 Minuten

5000 Meter: 14:09.58 Minuten

10 Kilometer Straßenlauf: 30:19 Minuten

Persönliche Bestleitungen / Hallensaison

800 Meter: 1:47.18 Minuten

1.000 Meter: 2:21.30 Minuten

1.500 Meter: 3:39.73 Minuten

3.000 Meter: 7:57.99 Minuten

Leistungsbilanz DM/WM/EM 2022

DM Berlin – 3.000 Meter Hindernislauf: 8:28,14 Minuten / Rang 1

WM /USA – 3.000 Meter Hindernislauf: 8:25.73 Minuten / Vorlauf Rang 8/ Gesamt Rang 21

EM / D – 3.000 Meter Hindernislauf: 8:26.49 Minuten / Vorlauf Rang 2 / Finale Rang 5

 

Das Interview führte der Berliner Sportjournalist und Korrespondent Olympischer Spitzensport, Volker Schubert, exklusiv für Bundeswehr Sport-Magazin.  

Fotos:  Volker Schubert

Über den Autor:

Der Sportjournalist und Korrespondent Olympischer Spitzensport Volker Schubert ist ehemaliger, langjähriger Leistungssportamateur und bis in die 1990er Jahre erfolgreicher Berliner Langstreckenläufer, mehrfacher Berliner Meister, Deutscher Mannschaftmeister, Deutscher Mannschaftvizemeister, Deutscher Hallenbronze-Meister, Berliner Polizeimeister im Crosslauf und Berliner Polizeimeister im Polizei-Dreikampf (3.000 m Geländelauf, 300 Meter Schwimmen, Schießen Olympische Ringscheibe) und DLV-Lizenztrainer.

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