Es war ein bemerkenswerter Start in diesen Weltcup von München mit 90 teilnehmenden Nationen. Präsident Alfons Hörmann vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) stattete den Schützen einen Besuch ab – und unter seinen Augen gewann Nina-Laura Kreutzer gleich den ersten Quotenplatz für den DSB bei dieser Veranstaltung. Der DSB hat in den Disziplinen Gewehr und Pistole damit jetzt neun von insgesamt möglichen 20 Quotenplätzen für Olympia 2016 in Rio de Janeiro erreicht. In diesem Jahr bleiben für die Schützen noch drei Chancen, bei den Europäischen Spielen in Baku/Aserbeidschan, den Europameisterschaften in Maribor/Slowenien und dem letzten Weltcup in Gabala/Spanien.
Die Atmosphäre in München war vor dem Hintergrund der vor einem Dreivierteljahr bei den Weltmeisterschaften in Granada/Spanien eröffneten Jagd auf die Quotenplätze eine andere als noch in den Jahren zuvor. Als die Luftgewehrdamen zum Finale antraten, war immer wieder ein kurzer Aufschrei des Jubels zu hören, mit einem Mal klatschten Zuschauer oder stöhnten vor Enttäuschung laut auf, während des Schießens. Normalerweise herrscht in dieser Situation weitestgehend Stille. Doch die Spannung war nahezu greifbar, die die Angehörigen der verschiedenen Nationalitäten auf den Zuschauerrängen versprühten. Es ging mehr als um Gold, Silber und Bronze und die in München vergebenen LebkuchenherzenOlympia elektrisierte, über ein Jahr vor der Eröffnungsfeier in Brasilien, schon in München, wo es 1972 wirklich um olympische Medaillen gegangen war.
Bundestrainer Claus-Dieter Roth hatte es die Worte verschlagen. Nur ein knappes „Ja“ brachte er heraus auf die Frage, um ihn dieses Ereignis denn doch überrascht habe. Doch er war nicht der Einzige, der sprachlos geworden war. André Link aus Mundelsheim, im Vorjahr noch Weltmeister bei den Junioren, hatte in München nicht nur den dritten Quotenplatz nach Daniel Brodmeier in Granada und Nicolas Schallenberger in Changwon in den Männer-Gewehrdisziplinen gesichert, er hatte sogar den Heimweltcup gewonnen. „Das ist auf jeden Fall der größte Erfolg meiner Karriere“, sagte Link, noch hochrot vor Erregung und Freude über seinen Coup. Dabei hatte er sich erst einmal nur gefreut, überhaupt noch das Finale erreicht zu haben. „In der letzten Serie habe ich viel liegen gelassen.“ Noch ein Ring weniger als die erzielten 92 Zähler hätte das vorzeitige Aus bedeutet. Im Finale gab er seine zu Beginn errungene Führung scheinbar cool bis zum Ende nicht mehr ab. Doch der Schein trog. „Ich habe, glaube ich, einen Puls von 250 gehabt. Ich habe gedacht, der steigt ins Unermessliche.“
Ansporn durch die Jungen
Barbara Engleder riss die Arme hoch, hob das Gewehr so in die Höhe, das sie damit um ein Haar den Monitor über ihr zu Boden gestoßen hätte, jubelte und schrie ihre unbändige Freude heraus. Der in Neubiberg stationierte Oberfeldwebel zeigt zwar ihre Emotionen immer wieder, aber selten in dieser Intensität wie an diesem vorletzten Tag von München. „Einen Weltcup zu gewinnen ist immer etwas Besonderes, vor allem zu Hause“, sagte die 32-Jährige. „Und es ist halt ein Deja-Vu-Erlebnis zu 2010.“ Schon damals siegte sie am gleichen Ort mit dem Sportgewehr und wurde so Weltmeisterin.
Es war vor allem die Art und Weise, die die Besucher und ein bisschen sie selbst in Staunen versetzte. Gleich in der ersten Kniendserie traf sie mit fünf Schüssen 53,0 Ringe – das ist eine 10,6 im Schnitt! Die einmal eingenommene Führungsposition gab sie den ganzen, 45 Schuss andauernden langen Finalwettkampf über nicht mehr ab, sie baute sie sogar Stück für Stück aus. Am Ende der 15 Kniendschüsse hatte sie mit 156 Ringen schon 2,3 Ringe Vorsprung. Dabei traf sie auch direkt nacheinander zwei Mal die 10,9. „Das ist mir im Wettkampf noch nie gelungen“, gab sie, schon wieder ganz sachlich, hinterher zu. Das Ergebnis in der ersten Anschlagsart habe sie richtig gefreut. „Das war die Basis.“ Sie habe aber auch zuletzt mit Landestrainer Mario Gonsierowski „das Finale bis zum Kotzen trainiert“.
Die 21-jährige Selina Gschwandtner stieß in München wieder ins Finale vor und erreichte bei ihrem dritten Weltcupeinsatz zum zweiten Mal das Finale– in ihrer ersten Saison bei den Frauen. „Seitdem es zum Auftakt in Changwon so gut gelaufen ist, bin ich ganz gelassen.“ Nur Weltmeisterin Beate Gauß hielt mit den Glanzleistungen ihrer Kolleginnen nicht mit. Der Oberfeldwebel aus Bruchsal wurde mit 574 Ringen 58.
Druck spielt für Reitz keine Rolle
Christian Reitz ist in voller Fahrt. Der Raunheimer gewann, zwei Wochen, nachdem er mit Bronze in Fort Benning den zweiten Quotenplatz für Deutschland in der Disziplin Schnellfeuerpistole geholt hatte, seinen ersten Weltcup dieser Saison. Überragenden 592 Ringen im Vorkampf ließ er im Finale einen sehr souveränen Start-Ziel-Sieg folgen. Schon bevor er zu seiner letzten Fünfer-Serie über vier Sekunden startete, stand er als Sieger fest, sechs Treffer Vorsprung auf den Zweitplatzierten Keith Sanderson wies die Ergebnisliste aus. „Meine Form ist sehr stabil, nur dass es bei der WM nicht geklappt hat, war ein bisschen schade“, findet er. Und er sieht auch keinen Unterschied zum Schießen vor dem Quotenplatzgewinn. „Es geht ja nicht um die Platzierung. Ich habe mein Ziel so oder so, gut zu schießen.“
Ein Missgeschick verhinderte, dass wieder, wie in Fort Benning, zwei Deutsche im Finale standen. Oliver Geis hatte im Vorkampf einen Moment ein kleines Problem an der Waffe, das reichte, um seinen fünften Schuss dieser Vier-Sekunden-Serie um Sekundenbruchteile zu spät abzugeben. Diese potenziellen zehn Ringe fehlten dem Mainzer Sportsoldaten, der den Weltcup von Fort Benning im US-Bundesstaat Georgia zwei Wochen zuvor gewonnen hatte, so dass er sich mit Rang 21 zufrieden geben musste. Aaron Sauter wurde mit 574 Ringen 26.
Besondere Anspannung
Der Weltcup in der bayerischen Metropole bot einen Vorgeschmack auf das, was die Schützen im Bezirk Deodoro von Rio erwartet. Und was es bedeutet, wenn die Olympischen Ringe eine Rolle spielen, wie die Nervosität steigt, die die Schützen in den Griff bekommen müssen. Insbesondere das Frauenfinale mit dem Luftgewehr offenbarte in besonderer Form diese Anspannung, und der finale Weg der Nina-Laura Kreutzer durfte als Paradebeispiel dienen.
Die 20-Jährige war als Vorkampfzweite nach sehr starken 419,9 Ringen ins Finale eingezogen. Die Konstellation klang vielversprechend: Drei Quotenplätze wurden vergeben, und die drei Chinesinnen im Finale schieden als Konkurrentinnen aus, weil China mit bereits zwei gewonnenen Startplätzen in dieser Richtung außer Konkurrenz teilnahm. Mindestens Dritte der anderen fünf Schützinnen werden, hieß die Devise beim ersten Weltcup überhaupt der Coburger Bundesligaschützin. „Ich war im Finale eigentlich zu ruhig, das war mein Fehler“, gestand sie später ein, denn sie fand nicht ihre noch im Vorkampf gezeigte Stärke.
Mit viel Glück zum Quotenplatz
Mehrfach warf die Schülerin einen bangen Blick hinter sich, zu Bundestrainer Claus-Dieter Roth. Als nur noch sieben Sportlerinnen an der Schießlinie standen, musste Kreutzer noch eine Runde überstehen, denn die drei Chinesinnen hatten sich in Richtung der Medaillenplätze abgesetzt. Zwei Mal erzielte die Bad Berneckerin jetzt eine 10,0, sie setzte bereits ein süffisantes Lächeln auf ob des jetzt erwarteten Ausscheidens und ihrer doch recht schwachen Finalvorstellung. So, als wäre das alles nicht wahr. Doch wieder kam ihr eine Konkurrentin zur Hilfe, die Tschechin Dudova erzielte nur eine 9,3 und 9,9.
Als der Sprecher jetzt verkündete, dass Deutschland, Österreich und Kroatien sicher einen Quotenplatz gewonnen hatten, da strahlte auch Kreutzer. „Dass ich einen Quotenplatz geholt habe, ist wichtiger als eine Medaille.“ Um, immer mehr begreifend, was sie geleistet hatte, hinzuzufügen: „Dass ich bei meinem ersten Weltcupeinsatz gleich ins Finale komme und einen Quotenplatz hole, ist phantastisch.“ Damit sind die Gewehrdamen in Richtung Quotenplätze „voll“, neben Kreutzer holte Sonja Pfeilschifter – die zu Kreutzers ersten Gratulantinnen in München zählte – durch WM-Rang drei einen Luftgewehrplatz, Selina Gschwandtner und Weltmeisterin Beate Gauß waren mit dem Sportgewehr erfolgreich. Deshalb hätte Barbara Engleder mit dem Sportgewehr nicht mehr gewinnen müssen, sie kam mit dem Luftgewehr mit 415,9 Zählern im Vorkampf auf Rang 22, Europameisterin Selina Gschwandtner (Reischach) belegte mit 410,9 Ringen Platz 79.
Ein Platz fehlt Junghänel
Die Herren hingegen verfehlten das große Ziel Quotenplatz. Julian Justus lag lange Zeit auf Finalkurs. Zwei 9,9er zu Beginn des letzten Durchganges ließen ihn mit 626,7 Ringen auf Platz elf zurückfallen. Vier Zehntelringe mehr hätten zur Finalqualifikation gereicht. Tino Mohaupt kam mit 622,9 Zählern auf Rang 36, Michael Janker belegte mit 621,5 Ringen den 47. Platz.
Viel bessere Aussichten erarbeitete sich Henri Junghänel im Liegendkampf. Mit einem Vorkampfergebnis von 625,2 erreichte er, mit noch zwei Zehnteln Vorsprung, als Achter gerade so das Finale. Schon das ist ein bemerkenswerter Fakt: Die Männer müssen im Schnitt besser als eine 10,4 schießen, um auf Spitzenebene den Endkampf zu erreichen. Michael Janker als 16. mit 623,2 verfehlte dieses Ziel klarer, Maik Eckhardt als 65. mit 614,3 Ringen deutlich.
Doch im Finale ist diese Qualität eben auch gefragt. „Eine 10,5 musst du im Schnitt schießen, mindestens“, erklärte Junghänel. Doch die Treffer des Breubergers waren eher im unteren Zehnerbereich angesiedelt. Der Mut hat ihn trotz des Ausscheidens als Dritter der besten Acht und der Platzierung als Sechster noch lange nicht verlassen. „Es war wichtig, im Finale zu sein, darauf bin ich stolz, und ich habe gezeigt, dass ich immer noch zur Weltspitze gehöre“, meinte der „Weltschütze des Jahres 2013“.
Pech von Dorjsuren
Zum zweiten Mal in diesem Monat standen Munkhbayar Dorjsuren und das gesamte deutsche Frauen-Pistolenteam mit leeren Händen da. Wieder hatte die gebürtige Mongolin das Sportpistolenfinale erreicht, dort jedoch wieder einen Quotenplatz verfehlt. Diesmal war es besonders ärgerlich. Die zweimalige Weltmeisterin wurde Sechste, bis zu Platz fünf gab es Quotenplätze. „Es war wie in Fort Benning: Im Finale liegt der Mangel.“ Seit der Einführung des neuen Modus 2013 hat sich die 45-Jährige nicht an ihn gewöhnen können.
Doch selbst die Sportsoldatin mit der großen Erfahrung, die in Rio ihre siebten Olympischen Spiele erleben könnte, spürte die besondere Belastung durch den Kampf um die Quotenplätze. „Das ist ein starker Druck im Finale, ganz anders als im Vorkampf. Olympia ist ja nicht irgendeine Sache.“ Dieser große Anreiz wirkt sich bislang nicht positiv aus, noch sind die Pistolenfrauen ohne Quotenplatz. Bundestrainer Jan-Erik Aeply war nach dem ersten Auftritt seines Trios stinksauer. „Was in der letzten Saison gewesen ist, spielt jetzt keine Rolle mehr“, sagte er mit Blick auf die Erfolge in 2013. Und er warnte: „Man kann sich nicht hinstellen und hoffen, dass einem die Quotenplätze vom Himmel direkt in die Hände fallen.“
Ein Knäuel des Elends
Die Aussprache des Trios mit dem Bundestrainer wirkte sich motivierend aus, doch das Pech blieb den drei Sportlerinnen auch mit der Luftpistole treu. Noch viele Minuten nach dem Wettkampf saß das Trio zusammengekauert in der nahezu leeren Luftdruckhalle und bildete ein Knäuel des Elends. Bei der so erfahrenen Munkhbayar Dorjsuren flossen Tränen, auch das Gesicht von Oberfeldwebel Monika Karsch war leicht gerötet, untereinander versuchten sie sich zu trösten. Bundestrainer Aeply probierte, seinen Teil dazu beizutragen: „Das war ein toller Einsatz, mein großer Respekt, Hut ab. Mit diesem Ergebnis wären wir als Mannschaft Weltmeister geworden.“
Was war passiert? Schon die nackten Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Dorjsuren und Karsch hatten 384, Thurmann 383 Ringe getroffen. Doch der Cut für das Finale lag um einen Ring höher, so dass die Deutschen die Plätze elf, zwölf und 15 einnahmen. Das besondere Pech: Dorjsuren traf in der letzten Serie zwei Mal die 9,9 – fliegt eines dieser beiden Diabolos in die Zehn, ist sie im Finale. Oberfeldwebel Stefanie Thurmann brauchte für 385 Ringe am Ende eine Zehn, es wurde unter großem Zeitdruck aber nur eine Acht. Und was dann besonders traurig stimmte: Fünf der Finalistinnen hatten schon einen Quotenplatz, die anderen drei Teilnehmerinnen holten die in München vergebenen Startplätze für Rio. „Das ist viel Pech, darüber dürfen wir uns jetzt ärgern, aber später müssen wir wieder lächeln“, versuchte sich Aeply weiter als moralische Stütze.
Pech mit der Aufstellung
Auch die Männer mit Freier und Luftpistole warten noch auf ihren ersten Startplatz für Rio. „Doch bei ihnen ist die Einstellung gut und der Teamgedanke stimmt.“ Philipp Käfer und Pilipp Grimm wurden 49. und 51., doch sie schützt ihr junges Alter und die geringe internationale Erfahrung vor allzu herber Kritik. Pech hatte Jan-Erik Aeply, dessen Athleten in den vom ihm verantworteten Disziplinen noch ohne Quotenplatzgewinn sind, mit der Aufstellung bei der Luftpistole. Philipp Käfer schoss MQS – jenen Nebenwettbewerb außerhalb der offiziellen Wertung, um eine Mindestringzahl zur Teilnahme an Weltcups und den Olympischen Spielen zu erreichen. Doch ausgerechnet an diesem Tag erwischte Käfer seine Glanzform und traf 584 Ringe – damit hätte er im normalen Wettbewerb klar das Finale erreichte, wenn er auch dort so gut gewesen wäre. So kam Manuel Heilgemeier als 26. mit 577 Ringen auf das beste Resultat aus deutscher Sicht, Europameister Philipp Grimm und Michael Schwald folgten auf den Rängen 37 und 68 mit 574 und 570 Ringen.
Text und Fotos: Harald Strier