Ich bin wieder wer – Einsatzversehrte Soldaten im Trainingslager an der Sportschule in Warendorf

Matthias Rast geht in die Knie, wippt leicht, schwingt den rechten Arm nach vorne und knallt den Diskus an die gegenüber liegende Wand. Ein guter Versuch, der nicht ahnen lässt, dass vor knapp sechs Jahren der Soldat an Sport nicht einmal denken mochte. Seine Wade war kaputt, zertrümmert von einem Durchschuss.
Es war 2011, als Rast während seines Auslandseinsatzes im Kosovo eine Straßenblockade räumen sollte. Es kam zu Tumulten, Schüsse fielen, ein Querschläger durchdrang seine Wade. „Zum Glück waren von der Verletzung vor allem die Muskeln betroffen“, erzählt Rast, der sich zurück in ein aktives Leben kämpfte – mit Hilfe der Sporttherapie für Einsatzgeschädigte, die in Warendorf im Münsterland ansässig ist. „Hier hat man eine super Arbeit geleistet. Auch wenn etwas zurück geblieben ist, und ich kein Handball mehr wie früher spielen kann, ich fühle mich fitter als zuvor“, betont Rast, der 2014 bei den Invictus Games in London am Start war. „Ein einmaliges Erlebnis“, schwärmt er. Nun bereitet er sich auf die nächsten Invictus Games vor. Zusammen mit 14 anderen versehrten Soldaten nahm er an einem Trainingslehrgang in Warendorf teil.
Mit Sport zurück ins Leben – nicht nur für Matthias Rast ist das der Erfolgsweg. „Es geht nicht darum, Höchstleistungen zu erbringen, sondern darum, zu erfahren, dass man noch leistungsfähig ist“, erklärt Oberstleutnant Carsten Gideon. Er ist Leiter der Sporttherapie für Einsatzgeschädigte und begleitet die versehrten Soldaten auf dem Weg zu den Invictus Games in Sydney (Oktober) und die United States Marine Corps Paralympic Style Trials in North Carolina, USA (März).

Einer der Teilnehmer in den USA wird Hauptbootsmann Thorsten Kardel sein. Zwei Monate im Winter 2009/2010 hatten den 39-jährigen völlig aus der Bahn geworfen. Zu dieser Zeit ist der Marinesoldat an der libanesischen Küste stationiert. Mitte Dezember 2009 wütet ein Sturm über dem Mittelmeer. Vier Meter hohe Wellen türmen sich auf, als der Notruf des Frachtschiffes Danny F II eingeht. 83 Menschen, 10.000 Kühe und 20.000 Schafe sind dort an Bord, als das Boot kentert. Die deutsche Marine eilt den Gekenterten mit zwei Schiffen zur Hilfe. Tote Tiere treiben in den Fluten. 36 Stunden dauert Kardels Einsatz, bei dem viele der Seeleute gerettet werden können. „Wir haben aber auch sechs Tote aus dem Wasser geholt“, erzählt der Vater einer Tochter.
Kaum hat Kardel das Ereignis etwas verarbeitet, trifft der nächste Notruf ein. Am 25. Januar 2010 stürzt ein äthiopisches Passagierflugzeug vor der libanesischen Küste ins Meer. An Bord: 90 Kinder, Frauen und Männer. Keiner überlebt das Unglück. „Wir konnten nur Tote bergen“, schildert Thorsten Kardel. Babys, Kinder, Frauen – die Bilder der leblosen, zerschellten Körper brennen sich in sein Gedächtnis.

„Ich habe schnell gemerkt, dass etwas mit mir nicht mehr stimmt“, erinnert sich der Soldat. Schweißausbrüche, Schlaflosigkeit, ungezügeltes Essen, Aggressivität. „Ich war ein anderer geworden“, sagt er. Kardel lässt sich im Bundeswehrkrankenhaus in Hamburg unter- suchen. Die Ärzte behalten ihn wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung für sechs Wochen da. „Ein Freund hat mir dann von der Sporttherapie in Warendorf erzählt“, schildert Kardel. „Das war ein guter Tipp, mir geht es viel besser“, sagt Kardel. Er würde sich endlich wieder selber spüren und sehen, dass er noch leistungsfähig ist. „Ich empfinde wieder Müdigkeit und kann wieder ins Wasser gehen“, fasst er zusammen. Das Tragische: Der Freund von damals nahm sich mittlerweile das Leben.
Hauptbootsmann Thorsten Kardel absolvierte zusammen mit vier anderen versehrten Soldaten das Trainingslager in der Sportschule der Bundeswehr, um sich auf die Marine Corps Trials in den USA vorzubereiten. Parallel dazu fand das Sichtungs-Trainingslager mit 15 Teilnehmern für die Invictus Games in Sydney statt. Unter der Schirmherrschaft von Prinz Harry werden diese zum vierten Mal ausgetragen. Gemeinsam mit ihren Familien werden die sogenannten „unbezwungenen Athleten“ die Wettkämpfe im Oktober in Australien erleben dürfen. In Disziplinen wie Sitzvolleyball, Leichtathletik, Schwimmen und Radfahren bereitete sich die Trainingsgruppe in Warendorf auf die sportlichen Herausforderungen in Australien vor. Hauptfeldwebel Kai Cziesla wird die deutsche Delegation begleiten. Er hat selbst schon als Athlet an den „Versehrten-Spielen“ teilgenommen. „Es geht nicht um Medaillen. Jeder, der es zu diesem Wettkampf schafft, ist ein Gewinner, weil er sich selbst überwunden hat“, betont er.

Das kann Steffi Matz nur bestätigen. Die Soldatin war vor einem Jahr bei den Invictus Games in Toronto dabei. „Die Teilnahme hat mir bei meiner Therapie den mit Abstand größten Schritt gebracht“, sagt sie. Der Sport habe ihr gelehrt, sich wieder selbst zu motivieren, aus dem dunklen Loch herauszukommen. „Ich kann mir wieder Ziele stecken und diese auch erreichen“, konkretisiert die Frau, die als Rettungssanitäterin im Kosovo und in Afghanistan war.
Jeder Auslandseinsatz habe sie verändert, sagt sie. Die Angst, das Leid – beides nahm sie mit nach Hause und kam nicht mehr klar. „Der Sport hat mir geholfen, mir wieder zu vertrauen. Und die Sportherapie in Warendorf hat mir das Vertrauen in andere zurückgegeben“, betont sie.
Vertrauen in die eigene Stärke, die will auch Rainer Engelmann den Soldaten vermitteln. Der DLV-Trainer führte die Sportler während des Trainingslagers in die technischen Disziplinen ein. „Die machen das super“, lobt er. Sein Ziel: „Wenn die Sportler die Scheibe 38 bis 40 Meter weit werfen würden, wäre das richtig gut“, sagt er, dreht sich zu Matthias Rast und nickt ihm aufmunternd zu. Der nimmt den Diskus, wippt leicht und schleudert das Sportgerät erneut gegen die Wand.

Text und Fotos: Alexandra Edelkötter

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